50 Jahre Mensch-Maschine-Interaktion: Finger oder Kugel?
Die Computermaus wurde zweimal erfunden, in den USA und in Deutschland. In Stuttgart hat man schon mit dem Erfinder Rainer Mallebrein gefeiert.
1967 ist das Jahr der Computermaus und somit wird bald ein Jubiläum fällig: In Kalifornien erläuterte Douglas Engelbart schon mal in einem Aufsatz, wie man so eine Maus benutzt, um Text zu markieren. In Konstanz arbeitete Rainer Mallebrein derweil bei AEG Telefunken an dem Problem, einen mobilen Pointer als Alternative zu dem fest eingebauten Trackball am Bildschirm-Arbeitsplatz des "Radarzielextraktors" zu entwickeln, den man für die Bundesanstaltung für Flugsicherung (heute Deutsche Flugsicherung) gebaut hatte.
So entstand die Rollkugel-Steuerung RKS 100-86. Auf einer Feier erläuterte der 83-jährige Erfinder die Irrungen und Wirrungen seiner Arbeit vor zahlreichen Zuhörern. Seine wichtigste Erfindung, das Touch Input System als Vorläufer des Touchscreens wurde zwar patentiert und als Prototyp gebaut, doch nur die einfache Rollkugel-Steuerung gelangte in die EDV-Räume.
"Radarzielextraktor" fĂĽr die Flugsicherung
Mit Beginn der grafischen Bildverarbeitung experimentierte man mit Methoden, auf dem Bildschirm Schriften und Zeichnungen zu zeigen. In den USA erfand Ivan Sutherland das Sketchpad, einen Lichtgriffel, der im DEDS/ARTS-System der US-amerikanischen Flugsicherung verwendet wurde. In Deutschland hatte AEG-Telefunken für die Flugsicherung den digitalen "Radarzielextrator" entwickelt, der die die von der Radaranlage gelieferten Daten auf einem großen Bildschirm als Vektorgrafik zeigte, die mit neu entwickelten Schriften illustriert werden sollten. Die Fluglotsen brauchten einen Zeiger, um eine "Flugstraße" auszuwählen und dann mit der Flugnummer zu beschriften.
Wie Rainer Mallebrein den gespannt lauschenden Feiergästen erzählte, hatte man überlegt, wie dies ermüdungsfrei realisierbar ist. Man kam unter anderem auf die Idee, per Ultraschall die Position der Fingerspitzen abzufragen, die auf den Bildschirm zeigten, eine Photozelle auf einen Stift zu setzen und blieb schließlich bei der Idee hängen, vor dem Computer-Bildschirm eine Glasscheibe zu hängen, die mit einem feinen Netz von Leiterbahnen überzogen war.
FrĂĽher Touchscreen fand keine Gnade
Dieses mit aufwändiger Forschung von AEG Telefunken selbst entwickelte "Touch-Input-System" wurde sogar patentiert. Die "Anordnung mit auf einer durchsichtigen Trägerschicht verteilten, zur Betätigung von Signalgebern einer Tasterkennungsschaltung dienenden Fingerberührungselementen" bestand aus einer dünnen Glasscheibe, die mit Leiterbahnen überzogen und vor den Bildschirm geklebt wurde. Berührte ein Finger eine Leiterbahn auf dem Bildschirm, war die "Bildmarke" gesetzt und konnte beschriftet werden.
Diese elegante Form der Mensch-Maschine-Schnittstelle, wie sie heute mit dem Conceptdesk der Deutschen Flugsicherung entwickelt wird, fand damals keine Gnade bei der Bundesanstalt fĂĽr Flugsicherung als Abnehmer des Systems. Fluglotsen sollten an einem Arbeitsplatz sitzen, der eine besondere Bedingung erfĂĽllen musste: Er sollte "Kaffee- und Colafest" sein. So kam man beim "Schirmbild-Arbeitsplatz SAP 200" schlieĂźlich auf den USA von Fluglotsen genutzten Trackball, der direkt in den Arbeitstisch eingebaut wurde und mit links bedient wurde. Die ersten Fluglotsensysteme wurden vor 50 Jahren in den Betrieb genommen, das Patent ĂĽber das Touch InputSystem geriet bald in Vergessenheit.
Der umgedrehte Trackball
Die Idee der fixen Zeigevorrichtung war in der Welt, doch nicht jeder Kunde wollte einen Arbeitsplatz mit einer fest verbauten Kugel. Besonders die Zielgruppe der Universitäten verlangte nach einer eleganteren Methode für die Arbeit an einem Bildschirm. "Der Trackball war klobig und der Festeinbau nichts für einen ordentlichen Arbeitsplatz", erinnerte sich Mallebrein. Als dann 1967 die Arbeiten am TR 440 unter Eike Jessen begannen, überlegte Mallebrein mit seinem Team, wie man den Trackball "herausnehmen" und umgedreht auf dem Tisch bewegen kann, statt in den Tisch einzubauen. Das Ergebnis war die Rollkugel-Steuerung (RKS) mit der Produktnummer 100-86.
Von der Idee bis zum Prototypen brauchte das Team um Rainer Mallebrein mit einem Dutzend Fachleuten ein halbes Jahr, wobei nicht nur die Konstanzer Computerbauer, sondern auch das Hannoveraner Röhrenwerk von AEG Telefunken beteiligt war, dass die Spulen und Verstärker baute. Diese Rollkugel wurde optional zum Bildschirmarbeitsplatz, dem Sichtgerät (SIG) 100 angeboten -- und niemals patentiert, weil die Erfindungshöhe vom Patentamt, aber auch von AEG-Telefunken als zu niedrig angesehen wurde.
Damit erlitt die "deutsche Computermaus" ein ähnliches Schicksal wie die erstmals 1968 demonstrierte Maus von Douglas Engelbart: Sie wurde zwar 1970 unter der Nummer Nr. 3.541.541 patentiert, doch das Patent verfiel 1987, kurz bevor die große Zeit der Mäuse begann. Zu den wenigen Firmen, die Geld (40.000 US-Dollar) an Engelbart überwiesen, gehörte Apple.
Vernarrt ins Schachspiel
Der emeritierte Informatiker Rul Gunzenhäuser erzählte im Anschluss an Mallebrein, was man damals am Sichtgerät 100 mit der Rollkugel und der Grafik machte. Die Informatiker der ersten Generation waren vernarrt in das Schachspielen mit dem Computer und so verfiel man auf die Idee Schachfiguren am Schirm zu zeigen und die menschlichen Spielzüge mit der Rollkugel durchzuführen. Auch das zweite graphische Programm war ein Spiel, allerdings anderer Natur: bei der Simulation der Mondlandung einer Fähre steuerte die Rollkugel zum Landeplatz. "Die Informatik war damals eine ganz junge Wissenschaft, als ich 1973 Professor wurde. Als ich meinen Kollegen erzählte, dass wir einen Computer für 20 Millionen D-Mark bekamen und auf dem 'spielten', fielen die aus allen Wolken."
Die kleine Geburtstagsfeier zu Ehren der ersten interaktiven Verbindungen von Mensch und Computer endete mit der Vorstellung des studentischen Projekts, die Rollkugelsteuerung nachzubauen, dank Arduino und 3D-Drucker ein durchaus machbares Projekt. Die größte Schwierigkeit war es, die richtige Kugel finden, wie Projektbetreuer Valentin Schwind berichtete.
Das Basiswissen fehlt
Erfinder Mallebrein wurde schließlich gefragt, wie es um die technische Entwicklung in Deutschland bestellt ist."Ich war ein schlechter Schüler und hatte Probleme in der Schule. Aber ich guckte alles an und dachte ständig darüber nach, wie etwas wohl funktioniert. Das ist so ein Basiswissen, das heute fehlt. Die jungen Leute gehen über eine Brücke und interessieren sich nicht mehr, wie die Nieten gesetzt sind. Sie wissen nicht, wie eine Klospülung funktioniert. Als die Queen Elizabeth 1953 gekrönt wurde, habe ich mir selbst einen Fernseher gebaut. So etwas ist heute schwer denkbar", gab Mallebrein den Zuhörern mit auf den Weg.
[UPDATE, 10.12.2016, 15:00]
Eine falsche Jahreszahl zur Krönung Elisabeths II. wurde im Text korrigiert. (axk)