Fake News: Politischer Aktionismus schafft ein "Zensurmonster"

Rechtsschutzstelle für soziale Netzwerke, EU-weites Vorgehen gegen Falschmeldungen und soziale Bots sowie eine konsequente Löschpraxis: Politiker üben sich im Vorwahlkampf in Aktionismus, was Kritiker auf den Plan ruft.

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Echt oder nicht? Die Koalition will gegen "Fake News" im Netz vorgehen – und muss sich Warnungen vor einem "Zensurmonster" gefallen lassen.

(Bild: dpa, Jens Kalaene)

Lesezeit: 5 Min.
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Vor der Bundestagswahl im Herbst wird der Ruf nach Maßnahmen gegen Fake News lauter. Während Experten vor politischen Überreaktionen mit fatalen Folgen warnen, ruft der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nach dem europäischen Gesetzgeber. Der sei am Zug, wenn der Ansatz der freiwilligen Selbstverpflichtung von Online-Plattformen nicht mehr ausreicht. "Falschmeldungen verletzen Persönlichkeitsrechte", erklärte er gegenüber in einem Interview mit der WAZ. "Ich bin dafür, die Opfer zu schützen in einer strafbewehrten Form."

Falschmeldungen sollten für Unternehmen wie Facebook "richtig teuer werden, wenn sie die Verbreitung nicht verhindern", führte der in die Bundespolitik wechselnde SPD-Politiker aus. "Wir müssen uns vor Manipulationen des Wahlkampfs im Internet schützen." Dies beziehe sich auf Fake News genauso wie "Social Bots". Internetkonzerne wie Facebook müssten dazu verpflichtet werden, "dass sie gefälschte Informationen nicht verbreiten". Aus der großen Reichweite der sozialen Netzwerke erwachse auch eine erhebliche Verantwortung, mahnte Schulz. Technisch dürfte das keine große Herausforderung sein.

Zuvor hatte Bundesjustizminister Heiko Maas erneut Facebook ins Gebet genommen, nachdem die aktuellen Löschpraktiken der Kalifornier publik geworden waren. "Wenn Einträge gegen unser Strafrecht verstoßen, muss das nicht nur von der Justiz konsequent verfolgt werden", sagte der SPD-Politiker der Süddeutschen Zeitung. Beleidigungen, Volksverhetzungen oder Verleumdungen hätten bei Facebook nichts zu suchen. Das Justizministerium habe "eindeutige Anforderungen formuliert", unterstrich Maas. In dem Ressort werde nun "die Praxis des Löschens von strafbaren Inhalten in einem externen Monitoring noch bis Anfang kommenden Jahres" ausgewertet. Gegebenfalls müsse der Gesetzgeber" dringend rechtliche Konsequenzen ziehen".

Der Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, bezeichnete es als erfreulich, dass nun auch Teile der SPD seine Initiative unterstützten, "soziale Plattformen wie Facebook zur konsequenteren Löschung von Hassbotschaften und Falschnachrichten zu veranlassen". Die Plattformen müssten "zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung gezwungen werden". Der Christdemokrat kündigte an, die große Koalition werde "gleich zu Beginn des kommenden Jahres" handeln. "Einen Zeitplan kann ich Ihnen nicht nennen", erklärte derweil Regierungssprecher Steffen Seibert gegenüber der Presse.

Zuvor hatte sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann dafür ausgesprochen, marktbeherrschende Plattformen" gesetzlich dazu zu verpflichten, eine "Rechtsschutzstelle" einzurichten. Darüber sollten Opfer von Straftaten eine Löschung rechtswidriger Botschaften verlangen können.

Der grüne Netzpolitiker Konstantin von Notz schrieb im Handelsblatt: "Die Zeit der Ablenkungsmanöver und populistischen Scheindebatten wie der nach der Schaffung eines 'Wahrheitsministeriums' gegen 'Fake News' oder pauschalen, an realen Herausforderungen vorbeigehenden Verboten von 'Social Bots' führen uns nicht weiter." Die Unternehmen müssten endlich dazu gebracht werden, Recht und Gesetz zu achten. Zudem seien die Justizbehörden in die Lage zu versetzen, "Verstöße gegen geltendes Recht schnellstmöglich ahnden zu können".

Der Digitalverband Bitkom warnte dagegen vor einer politischen Überreaktion. Mit einer Rechtsschutzstelle würde ein "Zensurmonster" geschaffen, gab Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder zu bedenken. Hassbotschaften oder persönliche Beleidigungen seien heute bereits verboten, und man könne auf Basis des geltenden Rechts dagegen vorgehen. Die Lobbyvereinigung plädiert stattdessen dafür, die Nutzer besser aufzuklären, wie man verfügbare Informationen und ihren Wahrheitsgehalt einschätzen und bewerten könne. Hier seien vor allem Bildungseinrichtungen gefragt.

Auch der Berliner Richter Ulf Buermeyer füchtet, dass die Politik übers Ziel hinausschießen könnte. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive gebe es "nur wenig Spielraum für ein Strafgesetz gegen Fake News", konstatierte der Jurist gegenüber heise online. Von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt "sind nur reine Tatsachenbehauptungen, die nachweislich falsch sind". Das gelte vielleicht für die Spitze des Eisbergs, aber meist gehe es um viel komplizierte Fälle, wenn etwa zutreffende Zitate in einen irreführenden Zusammenhang gestellt würden. Ferner könne man alle Äußerungen, "die auch nur ein Fünkchen Meinung enthalten, nicht so einfach verbieten".

Buermeyer rät, zunächst einmal das bereits geltende Recht wirksam umzusetzen. So seien Beleidigung und üble Nachrede schon heute strafbar. Die Strafverfolgung laufe meist ins Leere, weil Facebook, Twitter und Co. nur schlecht mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeiteten. Die Plattformen sollten daher dazu verpflichtet werden, eine Kontaktstelle in Deutschland einzurichten, "wo sie nach deutschem Recht mit Ermittlungsbehörden kooperieren und wo Gerichte auch einstweilige Verfügungen zustellen können".

"Wir brauchen keine neuen Gesetze, eine Strafanzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung genügt", befand der Münsteraner Medienrechtler Thomas Hoeren im rbb-Inforadio. Facebook in den Kampf gegen Fake-News zu involvieren, sei hingegen illusorisch. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und der Deutsche Journalistenverband lehnen es ab, das Presserecht auf soziale Netzwerke auszudehnen. Bei Facebook und anderen Diensten handele es sich nicht um Medien, sondern um technologiegetriebene Plattformen.

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