Das menschliche Genom -- ein paar Gene mehr als die Maus

Nächste Woche veröffentlichen die Konkurrenten Celera und das Humangenomprojekt jeweils ihre Sequenzierungsdaten in konkurrierenden Wissenschaftszeitschriften.

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Von
  • Florian Rötzer

Nächste Woche werden Celera und das Humangenomprojekt jeweils ihre Versionen der Sequenzierungsdaten des menschlichen Genoms veröffentlichen. Die Analyse des menschlichen Genoms gilt als einer der größten Erfolge in der Geschichte der Wissenschaften. Sie eröffnen möglicherweise eine neue Geschichte der Menschheit, da die Biologie immer weniger Schicksal sein werde.

Das Unternehmen und der durch öffentliche Gelder getragene Verbund von Forschungsinstitutionen lagen im Wettstreit, wer zuerst das vollständige Genom mit möglichst hoher Präzision analysiert. Dabei kam es nicht nur zu Konflikten über die unterschiedlichen Ansätze der Analyse, sondern auch über den Umgang mit den Daten. Während es die Philosophie des Humangenomprojekts ist, die Rohdaten allen möglichst schnell kostenlos zur Verfügung zu stellen, so ist Celera noch immer auf der Suche, den Spagat zwischen wissenschaftlicher Transparenz und kommerzieller Aneignung zu finden.

Einbezogen in den Konflikt sind auch die konkurrierenden Zeitschriften Nature, in der die Ergebnisse des Humangenomprojekts veröffentlicht werden, und Science, die eng mit Celera zusammenarbeitet. Die Beschränkungen, die Celera verlangt, widerssprechen allerdings der Tradition wissenschaftlicher Publikation, alle Daten uneingeschränkt der Gemeinschaft der Wissenschaftler zur Verfügung zu stlenn. Science wird am 12. Februar online die Beiträge über die Sequenzierungsdaten des Genoms sowie eine Reihe von Artikel zu diesem Thema frei zugänglich machen – beispielsweise über die Entwicklung der "Schrotschuss"-Technik von Celera, mit der eine schnelle Sequenzierung möglich wurde, über die Implikationen der Genforschung oder die Ansätze der Bioinformatik. Das Heft wird am 16. Februar erscheinen: mit der Genomkarte und einem Plakat.

Aber die Daten von Celera werden nicht in einer öffentlich zugänglichen Datenbank herausgegeben, sondern den Wissenschaftlern nur portionsweise – pro Woche eine Million sequenzierte Einheiten – zur Verfügung gestellt, wenn sie eine Vereinbarung über die Verwendung bestätigt haben. Diese erlaubt ihnen im Wesentlichen zwar, mit den Daten zu arbeiten und auch Patentanträge einzureichen, soll aber verhindern, dass sie die Daten weiter verkaufen oder diese zu anderen kommerziellen Zwecken nutzen. Wissenschaftler, die in Unternehmen arbeiten, müssen Lizenzgebühren zahlen. Wer Zugriff auf alle Daten haben will, muss weitere Verträge mit Celera eingehen und erhält erst dann eine CD-ROM mit den gesamten Daten.

Science und Celera führen diese Einschränkungen auch auf die amerikanische Rechtslage zurück, was den Besitz von Datenbanken angeht. Donald Kennedy von Science sagte, wenn es entsprechende Regelungen wie in Europa gebe, die die Eigentumsrechte an Datenbankinhalten sichern, wäre die jetzt vorgenommenen Kompromisse nicht notwendig. Zur Sicherheit hat Celera bei Science eine CD-ROM mit den gesamten Sequenzierungsdaten hinterlegt. Diese soll der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wenn Celera die Zusagen nicht einhält und doch noch strengere Restriktionen einführt.

Inzwischen hat Francis Collins vom National Human Genome Research Institute prophezeit, dass im nächsten Jahrzehnt durch Gentests individuelle Risiken für Erkrankungen und individuelle Reaktionen auf Medikamente festgestellt werden. Bis 2020 werde man zahlreiche genbasierte Designermedikamente herstellen können, sodass viele unerwünschte Nebenwirkungen vermieden werden könnten. Insgesamt werde die Genforschung zu gigantischen Datenbanken über die Sequenzen, Variationen und Expressionen führen, was auf die entscheidende Rolle der "computational biology" hinweise. Erforderlich seien leistungsstarke Methoden, um die gewaltigen Datenmengen zu sortieren und zu analysieren.

Auf der Biovisions-Konferenz in Lyon sagte Collins am vergangenen Freitag: "Wenn Sie noch nicht über die Auswirkungen des Genoms schwindlig geworden sein sollten, dann werden Sie dies in 10 Jahren sein." Bis in 10 Jahren werde routinemäßig in Reproduktionskliniken die Präimplantationsdiagnostik angewendet, um Embryonen vor dem Einsetzen auf genetische Störungen oder auch auf gewünschte genetische Eigenschaften zu untersuchen. Bis 2020 aber sieht Collins auch die Keimbahntherapie auf dem Sprung. Dann werde man mit einiger Sicherheit bereits neue Gene in die Keimzellen einführen, um auch für die weiteren Nachkommen das Auftreten bestimmter Krankheiten zu verhindern. Das werde aber auch der Zeitpunkt sein, an dem die Menschen beginnen würden zu fordern, "dass wir selbst unsere eigene Evolution in die Hand nehmen müssen und nicht mit unserem bislang erreichten biologischen Statuts zufrieden bleiben dürften". Collins selbst warnt vor der Vorstellung eines einfachen genetischen Determinismus, also der Vorstellung, alle Eigenschaften des Menschen so auf Gene zurückführen zu können, dass sie nur noch Roboter wären, "die durch unsichtbare Signale von unseren DNA-Sequenzen gesteuert werden".

Möglich seien die künftigen schnellen Fortschritte auch deswegen, weil sich gezeigt habe, dass die Zahl der Gene beim Menschen wesentlich kleiner ist als bislang angenommen. Mittlerweile gehen die Wissenschaftler des Humangenomprojekts von 30.000 bis 40.000 Genen aus, Craig Venter von Celera glaubt sogar, dass es nur zwischen 26.000 und 30.000 Gene gibt – was gerade einmal 300 mehr wären als bei einer Maus, doppelt soviele wie bei der Fruchtfliege und weniger als die Gene im Reisgenom, das vor kurzem sequenziert wurde. Was möglicherweise die Vorstellung vom Menschen als der kompliziertesten Kreatur zuwiderläuft, hat jedoch für die Wissenschaft eindeutige Vorteile, da die Entdeckung der Gen-Funktionen dadurch schneller zu einem Ende kommen könnte. Allerdings zieht Venter daraus auch die Konsequenz, dass wir wesentlich weniger genetisch "fest verdrahtet" sind als man früher angenommen hat. Die Komplexität hatte sich erst vor kurzem herausgestellt, als sich zeigte, dass genveränderte Mäusen, die klüger waren, gleichzeitig auch die Schmerzempfindlichkeit zugenommen hatte (Die Kehrseite der Gentechnik).

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