Erster HFR-Film auf Ultra HD Blu-ray: Ang Lees irre Videotour

In den USA hat Sony Pictures den ersten Spielfilm mit erhöhter Bildwiederholrate (High Frame Rate, HFR) auf UHD Blu-ray veröffentlicht. Wir haben uns "Billy Lynn’s Long Halftime Walk" angeschaut.

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Erster HFR-Film auf Ultra HD Blu-ray: Ang Lees irre Videotour

(Bild: Sony Pictures)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nico Jurran
Inhaltsverzeichnis

Als Regisseur Peter Jackson Ende 2012 den Film "Der Hobbit – eine unerwartete Reise" für eine hyperrealistische Bildästhetik mit 48 statt der seit Jahrzehnten üblichen 24 Bilder in der Sekunde drehte, ließ sich das Ergebnis in ausgewählten Kinos begutachten. Rund vier Jahre später wagte Regisseur und Produzent Ang Lee ("Life Of Pi") mit dem dem Spielfilm "Billy Lynn’s Long Halftime Walk" (deutscher Titel "Die irre Heldentour des Billy Lynn") einen erneuten Anlauf in Sachen High Frame Rate (HFR) – und setzte sogar noch einen drauf: Er drehte das Kriegsdrama in stereoskopischem 3D, mit 120 Bildern pro Sekunde.

In diesem 3D-Format konnte man "Billy Lynn" zwar wiederum nur im Rahmen ausgewählter Vorführungen (etwa auf Branchenmessen) sehen, mit der nun in den USA veröffentlichten Ultra HD Blu-ray bekommt man aber erstmals die Gelegenheit, einen HFR-Film in den eigenen vier Wänden zu schauen. Genutzt wird dabei das ursprünglich für Videoproduktionen gedachte (2D-)Format 2160p60 mit 60 Bildern pro Sekunde, die jeweils eine Auflösung von 3840 × 2160 Pixel haben. Bei gewöhnlichen Blu-rays ist bereits bei 1080p24 mit 24 Bildern pro Sekunde Schluss.

Zur Erinnerung: Ein ultrahochaufgelöstes 3D-Videoformat ist bei der UHD Blu-ray nicht spezifiziert. Selbst Jacksons "Hobbit" ließe sich mit 48 Bildern pro Sekunde nicht auf UHD-Blu-ray speichern, da diese Variante ebenfalls nicht vorgesehen ist.

Sony Pictures weist auf der Ultra HD Blu-ray von "Billy Lynn's long Halftime Walk" auf das HFR-Format mit einem Aufkleber hin.

Das in den USA von Sony Pictures veröffentlichte Disc-Set enthält neben der UHD-Blu-ray noch die 2D- und die 3D-Blu-ray-Fassung des Films. Die deutsche Ultra HD Blu-ray kommt nach aktuellem Stand erst am 2. August auf den Markt. Sie dürfte sich nur beim Ton unterscheiden; auf der US-Disc ist noch keine deutsche Synchronfassung drauf. Glaubt man den Abbildungen auf Händlerseite, wird zudem die 3D-Blu-ray fehlen.

Wir wollten nicht so lange warten und bestellten uns die UHD-Blu-ray aus den USA. Das Disc-Format kennt keinen Regionalcode und ließ sich folglich über unseren deutschen UHD-Blu-ray-Player von Samsung auf einem 4K-TV des selben Herstellers problemlos abspielen. Für die Wiedergabe der Blu-ray-Fassungen stand ein regionalcodefreier Sony-Player bereit – den wir aber an sich nicht gebraucht hätten, da die Discs nicht durch einen Regionalcode geschützt sind.

Auf der Papphülle des Disc-Sets prangt ein Aufkleber mit der Aufschrift "Most Hyper-Real Lifelike Picture Ever", darunter "60 Frames Per Second". Doch auch ohne diesen Hinweis merkt man schon in den ersten Filmsekunden, dass die Bildästhetik von "Billy Lynn" nicht mit der gewöhnlicher Kinofilmen zu vergleichen ist. Vielmehr unterscheidet sie sich so extrem, dass viele Zuschauer erst einmal völlig irritiert sind.

Zunächst fällt vor allem auf, dass das 4K-Bild fast unnatürlich plastisch wirkt und man bei Totalen noch jedes Detail in weiter Ferne sieht. Im Gegenzug wirken Aufnahmen mit einem unscharfen Hintergrund geradezu krampfhaft gewollt. Wenn in einer Szene die Kamera langsam an den Gesichtern der Protagonisten vorbeifährt, dürfte auch dem letzte Zuschauer klar werden, was man bei der gewöhnlichen Filmwiedergabe unter Bewegungsunschärfe versteht. Schnelleren Schwenk wirken wiederum ungewöhnlich glatt.

In Rückblenden ändert sich teilweise auch ein wenig die Bildästhetik des Films.

(Bild: Sony Pictures)

Das alleine erzeugt in vielen Szenen das Gefühl, eher eine Videoproduktion anzuschauen denn einen Spielfilm – eine Wirkung, die als Soap-Effekt (von "Soap Opera", also Seifenoper) von der Zwischenbildberechnung von Fernsehern bekannt ist. Dieser Eindruck verstärkt sich bei "Billy Lynn" aber noch einmal durch die vielen Nahaufnahmen auf die Gesichter der Protagonisten. In einer Szene hat man wiederum das Gefühl, mit den Darstellern in einer Limousine zu sitzen. In einer gut 5 Minuten langen Dokumentation zu den HFR-Aufnahmen, die als Bonus auf der UHD-Blu-ray zu finden ist, erfährt man, dass Lee damit eine besonders starke Intimität zu den Figuren im Film schaffen wollte.

Tatsächlich schadet dies dem Film an manchen Stellen sogar – etwa bei einem Gastauftritt von Steve Martin, der schlicht "geschauspielert" wirkt. Bei manchen Szenen in großen Innenräumen beschleicht einen wiederum häufiger der Eindruck, dass die Statisten krampfhaft nicht in Richtung Kamera gucken. Geradezu wohltuend sind da manche Rückblenden auf den Kriegseinsatz des Protagonisten, bei denen etwa Szenen auf Marktplätzen in der Halbtotalen oder Totalen nicht so inszeniert wirken.

Alles in allem wirkt "Billy Lynn’s Long Halftime Walk" oftmals nur wie ein großes Videoexperiment, in dem eine Reihe bekannter Schauspieler Gastrollen haben. Das "hyperrealistische" Bild sorgt immer wieder dafür, dass man aus der Geschichte herausgerissen wird. Wie dies die Zukunft des Kinos sein soll, bleibt rätselhaft.

Der Ultra HD Blu-ray von "Billy Lynn" liegt auch eine 2D- und eine 3D-Blu-ray-Fassung des Films bei.

Die Wiedergabe der Blu-ray mit 24 Bildern pro Sekunde kann in manchen Szenen tatsächlich ein wenig "Kinofeeling" zurückbringen. Den kompletten Soap-Effekt verschwindet aber auch in dieser Fassung nicht. Immerhin wirkte sich der Dreh in HFR auch auf andere Aspekte des Produktionsprozesses – wie etwa der Auswahl der Kameras und dem Licht – aus, die sich nachträglich nicht mehr entfernen lassen.

Wer "Rocky Balboa" gesehen hat, dürfte davon nicht allzu überrascht sein: Bei dem Film wechselte man bei der Produktion für die finale Szene in der Box-Arena seinerzeit absichtlich von Film- auf HDTV-Kameras, um dadurch – nach der Reduzierung von 60 auf 24 Bilder pro Sekunde – wieder einen "Fernseh-Look" zu erzeugen. Das klappte erstaunlich gut.

Als Goodie bekommt man bei der 4K-Disc zum HFR-Bild noch erhöhten Kontrast (High Dynamic Range, HDR) und den englischen Orginalton im 3D-Sound-Format Dolby Atmos. Alles in allem ballern soviele Daten durch die HDMI-Leitung, dass man gut beraten ist, ein ordentliches High-Speed-Kabel zu verwenden.

Aufgrund seiner Erfahrung mit der deutschen Ultra HD Blu-ray "Namibia - The Spirit of Wilderness", einer in 2160p50 vorliegenden Naturdokumentation von Busch Media, konnte Großbild-Spezialist Patrick Schappert von Grobi.tv gegenüber heise online jedenfalls bereits von Problemen bei der Übertragung von HFR-Videos über HDMI-Kabel mit einer Länge von mehr als 10 Metern berichten – auch bei Strippen, die laut Hersteller eigentlich für die 4K-Übertragung gedacht sind. Vor allem für Besitzer von Projektoren wird HFR hier schnell zum Problem. (nij)