Europäischer Polizeikongress: Intelligente Videoanalyse für mehr Sicherheit

Stürzende Personen automatisch erkennen, Gesichter identifizieren, die Bandenbildung beim Taschendiebstahl, herrenlose Koffer aufspüren und vieles mehr: Die intelligente Videoanalyse soll die Sicherheit auf öffentlichen Plätzen voranbringen.

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Europäischer Polizeikongress: Intelligente Videoanalyse für mehr Sicherheit

So präsentiert sich Ekin auf der Messe.

(Bild: heise online / Detlef Borchers)

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Von
  • Detlef Borchers
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Der 20. europäische Polizeikongress (EPK) des Behördenspiegels in Berlin platzte aus allen Nähten. Viel hätte nicht gefehlt und die zahlreichen Aussteller hätten an die Wände und Decken getackert werden müssen. In dieser Form ist der Kongress eine Verkaufsmesse für Produkte geworden, wie Kritiker des Kongresses bemerkten. Ein Verkaufsschwerpunkt in diesem Jahr: die intelligente Überwachung mit Algorithmen, die im Strom der Pixeldaten verdächtige Bewegungen und Objekte aufspüren. Diese Technik soll demnächst am Berliner Bahnhof Südkreuz und irgendwo in Bayern getestet werden.

Auch auf dem "Mannheimer Weg" sollte diese Technik eingesetzt werden, sie musste aber mangels gesetzlicher Grundlage zurückgestellt werden: Das Baden-Württembergische Datenschutzgesetz untersagt derzeit noch die softwarebasierte Videoanalyse wegen ihrer hohen "Eingriffsintensität".

Seit der Testreihe des Bundeskriminalamtes im Projekt Foto-Fahndung am Mainzer Hauptbahnhof, das letztlich für gescheitert erklärt wurde, hat sich viel getan. Die herkömmliche Kameraüberwachung durch "Closed Circuit TV" (CCTV) ist auf breiter Front von "Video Surveillance Systems" (VVS) abgelöst worden, natürlich in einer DIN-Norm definiert.

Hochpräzise Industriekameras wie die vom EPK-Aussteller Basler sind auf dem Vormarsch und gestatten eine Gesichtserkennung im fahrenden Auto aus 400 Meter Entfernung, wie Martin Nägele von OptoPrecision ausführte. Eine solche Gesichtserkennung könnte problemlos in den Abstandsmesssystemen an der Autobahn mitlaufen, was von den Behörden jedoch nicht gewünscht sei. Wichtig sei eine gute Beleuchtung, frei von Schatten und eine Kameraauflösung von 60-120 Pixeln zwischen den Augen, führte Nägele weiter aus.

Jörg Helbig vom Aussteller Cognitec erklärte, dass bereits 32 Pixel Augenabstand für eine Gesichtserkennung ausreichten, wenn 64 Grauwerte in der Gesichtsregion übertragen werden. Ansonsten sei die Gesichtserkennung eine etablierte Technik, die mit "Datenbanken mit mehreren 10 Millionen Bildern" arbeite und sekundenschnell Ergebnisse liefere: Ein Prozessorkern kann eine Million Vergleiche pro Sekunde durchführen.

Von der in Deutschland aus Datenschutzgründen (Eingriffsintensität) verbotenen Sprachaufzeichnung und -erkennung hat sich die russische Firma STC der Technik der Gesichtserkennung angenommen. Wie Aleksey Markachev in Berlin erklärte, hat seine Firma alle größeren russischen Fußballstadien mit Videoüberwachungssystemen ausgerüstet, bei der die Gesichtserkennung eine wichtige Rolle zur Identifizierung von Hooligans spielt, die einer zentralen Datenbank gespeichert sind. Nach seinen Angaben liegt die Erkennungsrate je nach Lichtbedingungen zwischen 88,8 und 98,8 Prozent, bei einer Antwortzeit von 3 Sekunden. Die Zukunft der Technik liegt für STC allerdings nicht in der punktuellen Überwachung von Stadien, Flughäfen oder Bahnhöfen, sondern in der gesamten Stadt als "Smart City", erklärte Markachev.

Wie eine komplette Stadtüberwachung aussehen kann, zeigte Akif Ekin von der türkischen Ekin Technology mit einer Video-Demonstration des "Stadt-Betriebssystems" Red Eagle. Dabei wird jede Person und jedes Fahrzeug, das einen Innenstadtbereich betritt oder befährt, aufgezeichnet und nach der Gesichtsanalyse beziehungsweise dem Kennzeichen-Check in einer Datenbank mit einer ID einen Monat lang gespeichert. Kommt es zu einem Vorfall, kann rückverfolgt werden, wer sich wo mit Komplizen getroffen oder wer wann einen Koffer abgestellt hat. Erst dann werde die "anonyme ID" aufgehoben und ein Vergleich mit existierenden Datenbanken durchgeführt, erklärte Ekin. "Da leben Millionen Menschen in der Stadt und wir machen der Polizei vielleicht 100 Vorschläge, wo sie weitersuchen kann."

Die Überwachung ganzer Städte wie Monaco oder Salamanca ist das Geschäft von Dallmeier. In Berlin freute sich Frank Salder von den Regensburger Videospezialisten jedoch über den Zuschlag, den seine Firma für die Video-Ausrüstung des Bahnhofsvorplatzes in Köln erhalten hat. Seit dem Silvesterabend 2015 dürfte der Bahnhofsvorplatz ein öffentlichkeitswirksamer Auftrag sein – wenn die Technik hilft, Ereignisse abzuklären. Dallmeier will dies mit Mehr-Augen-Kameras namens Panomera erreichen, die bis zur Identifizierung von Personen zoomen, aber gleichzeitig weiterhin ein Übersichtsbild liefern können. Herkömmliche PTZ-Kameras (Pam-Tilt-Zoom-Kameras) können zwar zoomen, müssen dafür aber das Panoramabild aufgeben.

In Sachen Gesichtserkennung hatte Gauselmann, Hersteller von Glücksspielautomaten auf dem Kongress einen interessanten Auftritt. Die Firma stellte ihr System Face Check vor, das zunächst als eine Einlasskontrolle für Spielhallen eingesetzt werden soll. Das nach Angaben von Gauselmann-Sprecher Marco Bollmeier durch Cognitec und der Bundesdruckerei entwickelte System soll erstens mit einem Hausverbot belegte Spielsüchtige erkennen und zweitens Jugendliche vom Betreten einer Spielhalle abhalten. Das System ist von den Landesdatenschützern in Nordrhein-Westfalen geprüft und abgenommen, weil lediglich hinterlegte Bilder von süchtigen Spielern in der Sperrliste abgeglichen werden. Doch das ist nur der Anfang. Face-Check soll nach den Plänen von Gauselmann künftig in den Spielautomaten eingebaut werden, die in Gaststätten betrieben werden und so die Jugend effektiver schützen. Doch gerade die Altersverifikation von Jugendlichen ist derzeit noch problematisch, da sie noch nicht die Lach- und Kummerfalten besitzen, die ein Gesicht prägen. (anw)