Alfi finden

Hat sich in den letzten 700 Jahren die Qualität der Nachrichtenübermittlung verbessert? Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ja.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Glaser

Ein – er schreibt: behinderter – junger Mann namens Alfi schickt einen handgeschriebenen Brief an ZDF-Fernsehmann Claus Kleber. "Er schreibt sehr nett", twittert Kleber, "möchte Antwort. Und leider ist der Umschlag mit Adresse verloren gegangen." Kleber möchte den Fan, der um ein Autogramm ersucht, nicht enttäuschen und wendet sich am 26. Februar an seine Follower, mehr als eine Viertelmillion Mittwitterer: "Wer hilft mir Alfi finden?"

Die vier Millionen Zuschauer des "heute"-Journals, das Kleber moderiert, wären wohl findemächtiger, als klassischer Journalist steht es für Kleber aber natürlich außer Frage, sich in dem politischen Magazin selbst zu thematisieren. Für seine Professionalität ist er auch bereit, vor der Kamera gegen seine Gefühle zu kämpfen. Auf seinem Twitter-Account dagegen ist er näher bei sich. 900 mal ist sein Aufruf, ihm bei der Suche nach Alfi behilflich zu sein, bisher retweetet worden, flankiert von mehr als 800 Favs. Gefunden wurde der Adresslose bisher offenbar noch nicht. Wird die sogenannte Follower-Power der sozialen Medien überschätzt? Hat sich durch die neuen Kommunikationskanäle die Qualität der Nachrichtenverbreitung verbessert?

Wie es sich für jemanden, der später mal E-Mail verwenden sollte, gehört, habe ich in jungen Jahren unter anderem als Briefträger gearbeitet. In einem großen Saal hatte jeder Briefträger ein Sortierregal neben sich, in dem er die angereichten Säcke mit Post für sein Revier nach Straßen und Hausnummern auffächerte. Ganz vorne in dem Saal, der ein bisschen wie die liberalisierte Version einer römischen Galeere wirkte, saß an einem Schreibtisch auf einem Podest der Briefträgerbeaufsichtiger und versuchte, die ganz harten Nüsse zu knacken – Briefe, deren Empfänger oder Adresse rätselhaft, unbekannt oder sonstwie nicht eruierbar waren. Manchmal rief er dann einen Namen in das Mikrofon, das vor ihm auf dem Schreibtisch stand, "kennt jemand einen Flaser oder Graser oder ähnlich?", und einer der Briefträger aus den Sortierregalreihen kam nach vorn an das Podest und nahm den fraglichen Brief mit, da er meinte, den Empfänger in seinem Revier zu wissen.

Neben herkömmlichen Instrumenten wie Adressbüchern wurde für diese Spezialsuche viel Intuition und die insgesamte Erfahrung aufgeboten, die sich seit 1290 angesammelt hatte, als die nachmaligen Thurn und Taxis in Norditalien mit dem Aufbau des ersten effizienten Postdienstes begannen. 700 Jahre später, in der Hochblüte dieser Nachrichtenübermittlungskultur, erreichte ein Brief an einen in Düsseldorf in der Hammer Straße lebenden Künstler namens Alexander "Xao" Seffcheque, worin ein Schneider aus Hongkong sich die Rechnung für einen Maßanzug zu übersenden gestattete, den Empfänger nur um wenige Tage verzögert, obwohl der Umschlag schlicht beschriftet war mit "Alexoufer Seffc. Mr. XAU Homwer Sweet Germany".

In der Hinsicht sind E-Mail und Konsorten ein Schritt zurück ins unsouveräne Kommunizieren. Es reicht schon ein falscher Buchstabe und die Zustellung ist perdü, zumal E-Mail-Filter, um die Tsunamis an Spam abzuweisen, die Tag für Tag durch das Netz fluten, immer mehr den Charakter harter Türsteher annehmen. Claus Kleber tut gut daran, bei seiner Suche nicht-algorithmisch vorzugehen und in seine Timeline hineinzufragen. Ob er erfolgreich ist, was ihm zu wünschen wäre, oder ob das Weiterverbreiten solcher Ansinnen auf Twitter sich nicht doch schon eher auf einen leeren Retweet-Reflex reduziert hat, muss sich noch erweisen.

Immerhin ist Kleber nicht allein mit seiner Bemühung. Und es gibt noch namenlosere Nachfragen als seine: "hilfe ich suche ein trauriges ruhiges herzschmerz indie lied aber ich kann mich nicht an den namen und die band erinnern", klagt franny, und Taxifahrer sucht "einen syrischen/arabischen Namen man spricht den Nassar glaub ich aus", fügt artig hinzu "danke lg" und "mir wird sowieso niemand helfen", was aber dennoch geschieht.

Und ja, auch Erlösungsmomente verzeichnet das gigageduldige Fahnden: "Discord hat mir gerade den Namen eines Buches gegeben dass ich seit 2 Jahren suche", freut sich Dissi. Manchmal geht es sogar in einem Augenblick, Resi weiß das: "Will ein bestimmtes Lied hören, geb nur den Namen der Band ein, bekomm das Lied vorgeschlagen, dass ich suche." (bsc)