Ausgeschnüffelt

Einer chemischen Formel lässt sich ihr Geruch nicht ansehen. Das wollen Forscher ändern, um neue Düfte zu erschaffen. Ein US-Start-up benutzt dafür einen Biochip, andere Forscher setzen auf Algorithmen und Computermodelle.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Simone Hörrlein

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 20.3.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Bei Lichtstrahlen gibt es Kameras, um das menschliche Auge zu ersetzen. Für Gerüche aber gibt es nach wie vor nur die menschliche Nase. Denn Gerüche und Aromen sind meist komplexe Mischungen verschiedener chemischer Verbindungen, und erst die Verarbeitung in der Nase erzeugt ein typisches Geruchsprofil. Bisher gab es keine Möglichkeit, solch ein Profil einzufangen. Geht es um das Aroma einer duftenden Tasse Kaffee oder das Bouquet eines Rotweins, existiert kein Chip, der aus der chemischen Zusammensetzung den Duft errechnet. Doch das könnte sich ändern. Denn weltweit arbeiten Wissenschaftler an künstlichen Nasen, die Geruchsprofis schon bald arbeitslos machen könnten.

Die Meisterleistung unserer Nase haben die US-Wissenschaftler Richard Axel und Linda Buck entdeckt und im Jahr 2004 für ihre Arbeiten zum Geruchssinn den Nobelpreis für Medizin/Physiologie erhalten. Dieses Wissen inspirierte Chris Hanson, der 2013 im kalifornischen Palo Alto die Firma Aromyx gründete. Sie entwickelte einen Biochip, der schon bald die Funktion der menschlichen Nase in der Aroma- und Duftstoffforschung übernehmen könnte. Während Farbe und Ton längst digitalisiert seien, würden Geschmack und Geruch noch immer vollkommen unwissenschaftlich beschrieben: „Das schmeckt schokoladig“, heiße es, oder „das riecht nach Knoblauch“, klagt Aromyx-Geschäftsführer Hanson, der in Stanford Russisch studiert und anschließend für die Nasa, das amerikanische Militär und IBM gearbeitet hat.

EssenceChip nennt Hanson seine virtuelle Nase: Sie basiert auf den Erkenntnissen der Nobelpreisträger, dass Rezeptoren im menschlichen Riechorgan für das Erkennen von Geruchsmolekülen verantwortlich sind. Wie kleine Antennen ragen sie aus der Zellmembran der Geruchszellen heraus. Riechen wir an frischen Erdbeeren, so binden deren Geruchsmoleküle an die passenden Rezeptoren und führen zu einer Strukturänderung. Diese stößt im Inneren der Zelle eine Reaktionskette an, an deren Ende ein Botenstoff mit dem sperrigen Namen Adenosinmonophosphat, kurz cAMP, steht. Sammelt sich genug Botenstoff in der Zelle an, kommt es zur Weiterleitung der Geruchssignale ins Gehirn. Erst dort wird der Geruch frischer Erdbeeren wahrgenommen.

Hanson hat diese Abläufe des menschlichen Riechvorgangs in seinen Chip gepackt. Auf den ersten Blick sieht er aus wie eine normale Mikrotiterplatte aus einem Diagnostiklabor mit 384 Vertiefungen für chemische Reaktionen. Doch das Innenleben macht den Unterschied. Fünf Geschmacks- und 365 Geruchsrezeptoren hat das Aromyx-Team in je eine der Vertiefungen des Biochips gepackt. Ebenfalls auf die Platte gebannt ist das gesamte an der Geruchserkennung in der Nase beteiligte biochemische Arsenal sowie ein kompliziertes Messverfahren. Wie dieser Kunstgriff genau gelungen ist, sei allerdings ein Firmengeheimnis, sagt der bei Aromyx für Verkauf und Marketing zuständige Todd Cushman.

Wird der EssenceChip einem Geruch ausgesetzt, soll exakt das Gleiche ablaufen wie in der menschlichen Nase. „Die für den Geruch verantwortlichen Moleküle docken an passende Geruchsrezeptoren in den Vertiefungen des Chips an, und am Ende entsteht der Botenstoff cAMP“, sagt Bill Harries, Zellbiologe und wissenschaftlicher Leiter des Start-ups. Seine Konzentration lässt sich zum Nachweis nutzen. Fluoreszierende Farbstoffmoleküle interagieren dafür mit den Botenstoffmolekülen, und die Farbstoffkonzentration erlaubt somit Rückschlüsse auf die Menge der Duftstoffmoleküle.

Dass der Biochip die Duftstoffindustrie revolutionieren, Chemikern und Sensorikern die Arbeit erleichtern und Firmen eine Menge Geld sparen wird, davon ist Hanson überzeugt. Und er könnte recht behalten. Denn noch immer müssen Unternehmen zur Entwicklung eines Aromas, beispielsweise dem von frisch gebackenem Brot, viele Tausend Stunden und riesige Summen an Geld investieren. Zwar lässt sich durch spezielle Analyseverfahren im Zusammenspiel mit sensorischen Informationen der menschlichen Nase herausfinden, welche Verbindungen in einer Mischung für einen bestimmten Geruch verantwortlich sind. Doch dieser Prozess ist nicht nur aufwendig, sondern auch extrem teuer. Kein Wunder, dass ein internationaler Getränkehersteller Hansons Chip bereits testet.

Um die Messsignale sichtbar zu machen, nutzen Hanson und sein Team einen Algorithmus, der die Ergebnisse des Biochips in ein dreidimensionales Bild, ein sogenanntes Aromagramm, umwandelt. Das Aromagramm stellt alle im Chip gebundenen Geruchs- oder Geschmacksstoffe als unterschiedlich farbige Balken dar, wobei die Höhe der Balken die Konzentration der jeweiligen Moleküle repräsentiert. Hanson zufolge entsprechen die Balken exakt dem quantitativen Signal, das Zunge und Nase auch ans Gehirn senden. Selbst wenn der Chip nicht im wörtlichen Sinne „riechen“ kann: Das Aromaprofil komplexer Gerüche kann er ziemlich gut nachstellen. Und da hinter den Aromaprofilen bestimmte Konzentrationen unterschiedlicher Moleküle stehen, ließe sich damit ein Duft tatsächlich ziemlich einfach rekonstruieren oder gezielt verändern. Großes Potenzial sieht Hanson auch im Austausch von teuren durch billigere Inhaltsstoffe, ohne dass dabei der Geschmacks- und Geruchseindruck eines Produkts verändert wird.

(inwu)