Ein neues Biotop?

Shell will das Fundament seiner ausgedienten Ölplattform Brent Delta als künstliches Riff im Meer lassen. Ein Gewinn für die Umwelt – oder nur für die Konzernkasse?

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Von
  • Hans Wille

Die Ringelgans ("Brent Goose") war Namensgeber für das britische Ölfeld Brent unter der Nordsee, aus dem Shell seit rund 40 Jahren Öl fördert. Nun aber geht es zur Neige, und die vier gigantischen Bohrinseln Alpha, Bravo, Charlie und Delta werden nach und nach abgebaut. Eventuell schon im Mai hebt die "Pioneering Spirit", das weltweit größte Arbeitsschiff, die 24000 Tonnen schwere Brent Delta von ihren Betonbeinen und fährt sie zum Abwracken.

Zurück bleiben drei 160 Meter hohe Betonkolosse, jeder so schwer wie das Empire State Building. Wohin damit? Shell würde sie am liebsten einfach stehen lassen, ebenso wie 16 Öltanks an den Fundamenten sowie den angehäuften Bohrschlamm. Dem steht allerdings der Ospar-Vertrag zum Schutz der Nordsee entgegen. Er verpflichtet alle Betreiber, die Umwelt so zu verlassen, wie sie vorgefunden wurde.

Die Kosten dafür wären gigantisch. Insgesamt gibt es im britischen Teil der Nordsee 470 Anlagen sowie 10000 Kilometer Pipeline am Meeresgrund. Der gesamte Rückbau würde rund 70 Milliarden Euro kosten. Gleichzeitig würden dem britischen Staat allein beim Ölfeld Brent dreistellige Millionenbeträge entgehen, denn Shell kann seine Kosten von der Steuer absetzen.

Der Ölmulti argumentiert, der Rückbau sei mit heutiger Technik viel zu gefährlich. Außerdem, sagen Befürworter wie der ehemalige britische Energieminister Ed Davey, wären die Hinterlassenschaften sogar nützlich für die Umwelt. Als künstliche Riffe seien sie im Laufe der Jahrzehnte zur neuen Heimat für Muscheln, Algen und Fische geworden. Sie abzubauen, würde ein Biotop zerstören, das gerade in Zeiten der überfischten Meere ein großer Gewinn für Natur und Mensch sei. "Rigs to Reefs" lautet das Motto. Im Golf von Mexiko dürfen sogar ganze Plattformen im Meer versenkt werden. Eine solche Genehmigung erhofft sich Shell nun von der britischen Regierung, die innerhalb ihrer "Ausschließlichen Wirtschaftszone" (AWZ) Ospar aussetzen kann.

Tatsächlich sind die Fundamente zum Teil dezimeterdick mit Biomasse besiedelt. Jährlich dienen Tausende Tonnen davon als Futter für Fische und Krebse. Die Fischer freut es. Allerdings handelt es sich beim Bewuchs vor allem um neue Arten wie Miesmuscheln oder Algen, die dort ursprünglich nicht vorkommen. "Stahl und Beton sind Artefakte in der Nordsee, deren natürlicher Boden überwiegend sandig oder schluffig ist", sagt Roland Krone, Umweltwissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. "Es ist zu befürchten, dass Hunderte Ölbauwerke zu Trittstufen für ortsfremde Arten werden, die sich massenhaft vermehren und heimische Tiere verdrängen."

Auch andere sehen die künstlichen Riffe kritisch: "Grundsätzlich muss Shell alles zurückbauen", sagt Stephan Lutter vom WWF Deutschland. "Das gilt insbesondere für die Öltanks und den Bohrschlamm, die mit Öl beziehungsweise Schwermetallen kontaminiert sind." Nur wenn es tatsächlich ein Sicherheitsrisiko sei, die massiven Betonbeine zu bergen, könne der WWF damit leben, sie vorerst im Meer zu belassen.

Dem schließt sich Jörg Feddern vom deutschen Greenpeace-Büro an: "Wir wägen immer ab, ob die Schäden durch den Rückbau größer sind als der Nutzen." Greenpeace ist ein gebranntes Kind, was das Ölfeld Brent betrifft. 1995 konnte die Umweltorganisation einen grandiosen Sieg gegen Shell feiern: Ein gut organisierter Massenboykott hatte das Versenken des Öltanks Brent Spar verhindert. Ein Pyrrhussieg, wie sich bald herausstellen sollte: Greenpeace musste zugeben, dass man wider besseres Wissen mit deutlich zu hohen Ölmengen in dem besagten Tank argumentiert hatte. Womöglich liegt es daran, dass Greenpeace diesmal auf eine große Kampagne verzichtet. (bsc)