Everything angespielt: Alles fließt

Ich bin ein Kamel oder ein Sandkorn, eine Palme oder ein Kontinent, ein Halm oder der Mond. Das Videospiel Everything präsentiert sich als Mischung aus Spaziergang-Adventure und God-Game, will aber vor allem ein Kunstwerk sein.

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Everything angespielt: Alles fließt
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Kusenberg
Inhaltsverzeichnis

Im Goat Simulator kann der Spieler mit einer Ziege durch die Gegend laufen, rollen und fliegen. Das Scherz-Spiel wurde trotz eingeschränkter Spielmechanik zu einem echten Erfolg – das kuriose Konzept machte Goat Simulator gerade auf Youtube populär. Mit Ziegen holt man heute niemanden mehr hinter dem Ofen vor, weiß offenbar Künstler David O'Reilly. In seinem neuen Spiel "Everything" steuert der Spieler zuerst ein Zebra, das wie ein steifes Spielzeugtier durch eine Wüste rollt.

Everything ist aber kein Zebra Simulator. Bald zeigt sich, dass jenes Zebra nur eine von Tausenden potenziellen Spielfiguren darstellt, denn überall in der Welt befinden sich andere spielbare Spezies. Der Spieler wechselt auf Wunsch jederzeit seine Gestalt: Er steht als Zebra vor dem Dornbusch, drückt auf X und wird zum Dornbusch. Dann wird er vom Busch zum Grashalm, vom Halm zur Fliege, zum Pollen und schließlich zur mikroskopisch kleinen Bazille. Wenn es nicht mehr kleiner geht, strebt er zum Großen, wird zum Krebs, zum Felsen, zur Palme, ja: zum Berg, zum Kontinent, zum Mond.

Everything (6 Bilder)

Anfangs steuert der Spieler Zebras, die starr über den unendlichen Wüstenboden rollen.

Durch den ständigen Rollenwechsel verändert sich die Wahrnehmung der Welt: Das Sichtfeld ist stärker begrenzt, die Augenhöhe niedriger, die Bewegungen sind langsamer. Andererseits muss der Spieler erst zum Halm werden, um in den Mikrokosmos hinab steigen zu können. Alle spielbaren Dinge haben eines gemeinsam: einen begrenzten Handlungsspielraum, der daraus besteht, Artgenossen "anzusprechen", umher zu laufen – und zu singen..

Das Spielziel von Everything liegt darin, möglichst viele Dinge und Lebewesen zu entdecken. Dabei stolpert der Spieler über philosophische Sinnsprüche, meistens bestehend aus ein oder zwei englischsprachigen Sätzen, etwa "Ich habe Angst, mich zu verändern, wegen der Dinge, die ich zuvor getan und gesagt habe." Oder: "Ist das eine Art Spiel? Was sind die Regeln?"

Chefentwickler David O'Reilly bediente sich vor allem der Werke des Philosophen und Theosophen Alan Watts (1915 – 1973), dessen Stimme häufig im Spiel zu hören ist. Der irische Künstler produzierte 2014 mit Mountain ein ähnlich kunstwerkliches Spiel, zudem war er verantwortlich für die Spielszenen im Science-Fiction-Lebensfilm Her aus dem Jahr 2013.

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Die unendlichen, prozedural generierten 3D-Spielwelten sind hübsch anzusehen. Je nach Planet und Kontinent sind sie mal eisbedeckt, mal sumpfig, mal steinig. In jedem Terrain findet der Spieler unterschiedliche Tiere und Mineralien und Pflanzen, die zwar nicht immer gut aussehen und nur teilweise natürlich animiert sind: Während der Frosch also tatsächlich hüpft, kugelt der Orang-Utan wie ein kantiges Spielzeug durchs Unterholz. Ein wunderbares Gefühl erlebt, wer sich in den Kosmos aufschwingt oder in die Bazillenwelt hinabsteigt. Der Perspektivwechsel ist geschmeidig und reibungslos – panta rhei, wussten schon die antiken Griechen, alles fließt.

Das Sammeln hält den Spieler bei der Stange, angeblich kann er 3000 Dinge und Lebewesen entdecken und "spielen". Auch Gedankentäfelchen kann er sich zusammenscharen, um sie dann untereinander zu kombinieren. Ob jedoch ein Spruch wie "Im Leben hilft es, einfach zu singen" das Weltwissen oder zumindest den Erkenntnishorizont des Spielers erweitert, sei dahingestellt. Die prozedural generierte Spielwelt kümmert sich nicht um Sinnzusammenhänge, sondern begünstigt den Zufall. Das sorgt für witzige Momente, etwa wenn ein Stein vom Tanzen "spricht" oder ein Pollen die Größe des Universums beschwört.

Die Beliebigkeit von Everything führt zu überraschenden, mitunter erhebenden Momenten. Insofern machen die ersten Stunden einigen Spaß. Die Luft ist allerdings schnell raus: Die ständige philosophische Phrasendrescherei führt letztlich nur zu Gedankenmatsch. Und für ein Spiel, das "Alles" sein will, gibt es überraschend wenig zu tun.

Everything ist ab 15 Euro für die PS4 erhältlich. Eine Version für Windows und Mac erscheint am 21. April. Für unser Angespielt haben wir Version 1.03 einige Stunden lang auf der PS4 gespielt. (dahe)