Forschung im Fels – auf der Jagd nach der Kernspaltung

Während des Zweiten Weltkriegs verlegten Forscher ihr Labor von Berlin ins Felsenstädtchen Haigerloch. In der Provinz führten sie ihre Versuche zur Kernspaltung fort. Ein Museum zeugt von der Forschung im Fels.

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Atom-Forschung im Fels

(Bild: Felix König (Wikipedia))

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Lena Müssigmann
  • dpa

Eine 20 Meter mächtige Schutzschicht aus Fels hatten sich Forscher für ihre riskanten Experimente ausgesucht: In einem ehemaligen Bierkeller in Haigerloch (Zollernalbkreis) tüftelten Physiker Ende des Zweiten Weltkriegs gut geschützt vor feindlichen Angriffen an der Kernspaltung.

Sie arbeiteten in der Annahme, sie könnten weltweit die ersten sein, denen das Experiment gelingt. Dass die Amerikaner längst weiter waren und die Forscher im Fels nur mäßige Erfolge erzielten, hat das Städtchen möglicherweise vor verheerenden Angriffen bewahrt.

Beim Reaktor des Atomkeller-Museums in Haigerloch handelt es sich um einen Nachbau. Das Original demontierten die Alliierten.

(Bild: LepoRello (Wikipedia) )

Heute ist der Keller ein Museum: Im Boden ist ein Nachbau des Atomreaktors eingelassen, ein Aluminiumkessel mit gut zwei Metern Durchmesser. Die Forscher um den Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg wollten den experimentellen Nachweis erbringen, dass eine Kettenreaktion in einem Reaktor möglich ist.

Sie waren nah dran: Es gelang ihnen, im Kessel Atomkerne zu spalten, doch eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion kam nicht zustande. Wofür die Kernspaltung nützlich sein könnte, hatten sie allenfalls im Hinterkopf, sagt der Haigerlocher Museumsbetreuer und Physiker Egidius Fechter. Sie hätten etwa an Schiffsantriebe gedacht. "Ihr Ziel war nie, eine Bombe zu bauen", sagt er.

Warum sind die Wissenschaftler ausgerechnet nach Haigerloch gegangen? Einer der beteiligten Forscher kam aus Tübingen und hatte den Standort womöglich auskundschaftet, wie der Direktor des Museums der Universität Tübingen, Ernst Seidl, sagt.

Vier Vorteile des Labors aus Seidls Sicht: die Abgelegenheit, die Lage im Muschelkalk-Fels, der geringe Aufwand – schließlich hatte der Felsenkeller einen ebenerdigen Eingang, und die Lage direkt unter einer Kirche. Zu Kriegszeiten arbeiteten die Forscher in Deutschland mit primitivsten Mitteln, wie Seidl sagt. "Dafür haben sie viel rausgekriegt."

An den Wänden erzählen Tafeln von den Forschern. Sie hießen Carl Friedrich von Weizsäcker, Karl Wirtz, Erich Bagge, um nur einige zu nennen. Allesamt begeisterte Naturwissenschaftler. Und Nazis? Bagge ist in der NSDAP gewesen, wie Fechter sagt. Als Beamte seien manche der Forscher zur Mitgliedschaft gezwungen gewesen. Von überzeugten Nazis wolle er nicht sprechen. Nach der Gefangenschaft in England hätten viele von ihnen von Göttingen aus wieder am Aufbau der Wissenschaft in Deutschland mitgearbeitet.

Fechter ist in Haigerloch aufgewachsen, doch vom Atomkeller in seiner Heimatstadt erfuhr er lange kein Sterbenswörtchen. "Die Leute wussten bei Kriegsende, dass hier was war, aber nicht was", sagte er. "Man hatte ihnen verschiedene Erklärungen angeboten, zum Beispiel, dass an einer Maschine gearbeitet wurde." Ende der 1970er-Jahre wurden in dem Keller Feste und Fastnacht gefeiert. Erst 1980 wurde er zum Museum ausgebaut. Nach einem Ansturm in den Anfangsjahren hat sich die Zahl der Besucher auf 10.000 pro Jahr eingependelt.

Direkt auf dem Schlossfelsen oberhalb des Eingangs zum Atomkeller-Museum steht die Schlosskirche.

(Bild: LepoRello (Wikipedia) )

Dabei ist der Keller deutschlandweit einzigartig, es gebe keine Atomforschungsanlage aus dieser Zeit an Originalstelle, so Fechter. Doch das Geheimlabor hat fast zur Katastrophe für die kleine Felsenstadt geführt. Denn im April 1945 marschierten die Alliierten in Haigerloch ein, entdeckten das Labor und wollten den ganzen Keller sprengen, wie Fechter erzählt.

Doch auf dem Felsmassiv steht die Schlosskirche der Stadt, schon damals seit mehr als 300 Jahren. Der damalige Stadtpfarrer, so erzählt es Fechter, konnte erreichen, dass die Soldaten von ihrem Plan abrückten. Immerhin sprengten sie den Reaktorkessel – seine verbogenen Überreste sind heute noch im Museum zu sehen.

Wie später bekannt wurde, hatten die Alliierten wohl deshalb Milde walten lassen, weil sie schon vor Kriegsende vom Stand der Forschung der Deutschen erfahren hatten und selbst in der Atomforschung viel weiter waren. (thk)