Schützt Vorhautbeschneidung nur die Männer vor AIDS?

Vorhautbeschneidung wird von der WHO als Schutz vor AIDS empfohlen. Der Eingriff soll die Infektionen unter afrikanischen Männern um rund 60 Prozent senken. Kondome wären allerdings effektiver und würden auch Frauen schützen.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Um 60 Prozent sinkt angeblich das Risiko für beschnittene Männer, sich bei heterosexuellem Sex mit AIDS anzustecken. Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation WHO 2007 die Kampagne zur Beschneidung von Jungen und Männern ausgerufen. Unterstützt wird sie finanziell unter anderem von der Bill & Melinda Gates Foundation. Der Vorstoß der WHO vor genau zehn Jahren galt hauptsächlich den Ländern südlich der Sahara und ging davon aus, dass 5,7 Millionen HIV-Neuinfektionen und rund 3 Millionen Tote in zwanzig Jahren durch die chirurgische Entfernung der Vorhaut verhindert werden könnten: Die Annahme basiert auf der Tatsache, dass die ungeschützte Eichel härter und damit weniger empfindlich für Verletzungen sowie Infektionen wird.

Wenn die Beschneidung allerdings ein so probates Mittel zur AIDS-Prävention ist, verwundert es doch sehr, dass die chirurgische Maßnahme in westlichen Ländern fern der Vereinigten Staaten kein Thema zu sein scheint. Dies mag natürlich daran liegen, dass in Deutschland zum Beispiel keine vom Großteil der Bevölkerung ausgeübte Beschneidungs-Tradition existiert. Dies gilt aber auch für große Bevölkerungsanteile der afrikanischen Staaten. Auf einer Pressekonferenz anlässlich des "Welttags der Genitalen Selbstbestimmung" in Berlin sagte jetzt zum Beispiel der Kenianer Kennedy Owino Odhiamb: "Die Programme [...] sind einseitig und werden überall durchgeführt, auch in Regionen, in denen es keine traditionellen Vorhautamputationen gibt. Die Programme missachten unsere Kultur."

Aber es ist mehr als das: Zum einen entsprechen die hygienischen Bedingungen in den medizinischen Zentren Afrikas oft nicht jenen Standards, die für diese chirurgischen Eingriffe wichtig sind. Es kommt zu unnötigen und gefährlichen Komplikationen. Zum anderen hat sich die Zielgruppe in den vergangenen zehn Jahren offensichtlich verändert. Anscheinend ließen sich nicht genügend afrikanische Männer überzeugen und moblisieren. In Namibia waren es zum Beispiel seit dem Start der Kampage "Voluntary medical male circumcision" (VMMC) 2009 nur 16.341 Männer statt der bis 2015/16 anvisierten 330.128, wie die südafrikanischen Wochzeitung "The Southern Times" schreibt.

Wohl auch aus diesem Grund hat UNICEF das Programm EIMC (Early Infant Male Circumcision) mit angestoßen. Laut Christian Bahls, Vorsitzender des deutschen Betroffenenverbands MOGIS, finanziert das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen in einigen afrikanischen Ländern Vorhautbeschneidungen von Säuglingen in den ersten beiden Lebensmonaten. Den Verantwortlichen sei bewusst, dass damit Kinder­rechte verletzt würden, sagte er dem "Deutschen Ärzteblatt": "Es ist erschütternd zu sehen, dass aus Kampagnen zur Beschneidung von Erwachsenen, die ja zumindest informiert einwilligen können, wegen des geringen Erfolgs Beschneidungskampagnen von Kindern geworden sind", resümierte Bahls.

Eine Kritik, der sich Ulrich Fegeler vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte anschloss. Er lehnt die Beschneidung bei nichteinwilligungs­fähigen Kindern schon aus menschenrechtlichen Gesichtspunkten ab. Obendrein bezeichnet er die oft ohne Betäubung durchgeführte Maßnahme als "barbarisch", denn Säuglinge hätten das gleiche Schmerzempfinden wie Erwachsene.

Interessant ist allerdings darüber hinaus die Tatsache, dass jenseits aller behaupteten HIV-Präventionserfolge bei heterosexuellen Männern – die Beschneidung gewährt keinen Schutz bei Analverkehr – von den Frauen nur ganz beschämt am Rande die Rede ist: "Bei den HIV-Infektionsraten von Frauen war keine Reduzierung zu sehen", sagte zum Beispiel Xiangrong Kong von der Bloomberg School of Public Health der Johns Hopkins University, als sie im vorigen Juli eine Studie über Erkenntnisse aus Uganda vorlegte. Natürlich wird im Zuge der WHO-Kampagne erwähnt, dass die Beschneidung eben nur zum Teil schützt. Doch was kommt bei den Menschen an? Kondome würden beide Sexualpartner zu weit mehr als 90 Prozent schützen. Und für die Kosten einer Beschneidung ließen sich angeblich 3000 Kondome finanzieren! Eine Milchmädchenrechnung?

Was allerdings von den Betreibern der Kampagne schon gar nicht erwähnt wird, sind die immateriellen Kosten einer Beschneidung. Der Amerikaner Ronald Goldman, Autor des Buches "Circumcision: The Hidden Trauma", äußert sich im Interview mit der Webseite "beschneidung-von-jungen.de" über die seelischen, aber auch körperlichen Folgen für die Beschnittenen: "Ausgehend von jüngeren Berichten, wird bei der Beschneidung bis zur Hälfte des erogenen Gewebes am Penis entfernt [...]. Medizinische Studien haben gezeigt, dass die Vorhaut den Kopf des Penis schützt, sexuelle Lust verstärkt und Geschlechtsverkehr erleichtert." Vielleicht sind die Verhüterlis also doch das kleinere Übel bei der Prävention von AIDS. (inwu)