Sascha Lobo und die Rechtsnationalen: Diskutieren statt ausgrenzen

Sascha Lobo schlägt auf der re:publica ein anderes Online-Diskussionsverhalten vor. Auch Community-Manager machen sich Gedanken darüber, inwieweit man Hassrede ausgrenzen kann.

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Sascha Lobo auf der re:publica 2017

Lobo auf der re:publica 2017.

(Bild: heise online / Torsten Kleinz)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Angesichts erstarkender rechtsnationaler Bewegungen und der grassierenden Hassrede suchen die Teilnehmer der Online-Konferenz re:publica neue Rezepte für den Umgang im Netz miteinander. Der Autor und Kolumnist Sascha Lobo empfahl am Montagabend einen inklusiveren Umgangston, um ein Abdriften von immer mehr Menschen in rechtsnationale Kreise zu verhindern.

"Ich dachte, wir wären weiter" – mit dem Zitat einer taz-Autorin beschrieb Lobo das Gefühl, das er angesichts vieler Beiträge habe, die heute in sozialen Medien zu lesen seien. "Die Grenze ist schwer zu ziehen: Ist das schon menschenverachtend oder nur sehr, sehr doof?", beschrieb Lobo das Dilemma. Wenn Menschen dafür plädierten, Flüchtlinge an der Grenze zu ermorden, sei es für ihn unbegreiflich – ebenso die erstaunlich große Akzeptanz selbst der plumpesten Lügen. Beunruhigt zeigte sich Lobo, dass Hassrede und Morddrohungen von Leuten kämen, die sich als Sprecher einer Mehrheit wahrnähmen.

Um herauszufinden, was schief gelaufen ist, hat Lobo in einem Selbstexperiment über mehr als ein Jahr mit Menschen diskutiert, die er in seiner ersten Einschätzung als rechtsradikal wahrgenommen hatte. Doch nach den Gesprächen zeigte sich ein differenzierteres Bild. Zwar seien unter den Menschen viele gewesen, die sich auch als bei näherer Betrachtung als rechtsextrem erwiesen hätten, aber auch viele Konservative, die sich zeitweise missverständlich ausdrückten.

Dazu gebe es auch eine Gruppe, die sich rechtsextrem äußere, um einem Freundeskreis zu imponieren oder die als Trolle Empörung erzeugen wollten. Viele Leute seien auch ängstlich oder zu wütend, um noch auf Argumente zu reagieren. Der Kolumnist plädierte dafür, die Menschen, die noch nicht ganz von einer menschenverachtenden Ideologie vereinnahmt würden, in Gesprächen von liberaleren Positionen zu überzeugen, statt sich gegen das vermeintlich gegnerische Lager abzuschotten.

Lobo lobte die Facebook-Gruppe #wirsindhier, die sich gezielt in Diskussionen einmischt, in denen Ressentiments geäußert werden, um mit Argumenten gegenzuhalten und Empathie zu wecken. Doch der Ansatz sei nur beschränkt wirksam. So sei der Hashtag der Gruppe mittlerweile eine Ausrede für manche Kreise, sich eben nicht mit den Argumenten der Beiträge auseinanderzusetzen, da die Gruppe als Feind wahrgenommen werde.

Als Gegenstrategie empfiehlt Lobo einen offeneren Umgang mit jenen, die antiliberale Positionen vertreten. Um diese zu überzeugen, müssten wir jedoch stets höflich bleiben, Verständnis für Begründungen zeigen und echte Fragen stellen statt das Gegenüber nur vorzuführen. Wichtig sei es auch, Empathie zu wecken.

Dabei sei es nicht einfach, durch die etablierten Argumentationslinien durchzudringen. Das Wort "Lügenpresse" werde zum Beispiel nicht benutzt, weil die Betreffenden der Auffassung seien, dass die Presse durchweg lüge. Der Begriff diene als Freischein zur selektiven Wahrnehmung: So glaubten die Betreffenden den etablierten Medien, wenn sie zum Beispiel über Ausländerkriminalität berichteten, die Berichte und Kommentare zur Einordnung würden dann jedoch ignoriert. Zu ähnlichen Ergebnissen war die Süddeutsche Zeitung in einer aufwändigen Datenrecherche gekommen.

Lobo kritisierte auch die etablierten Medien. So seien Wahlergebnisse wie beim Brexit oder der US-Präsidentenwahl auch durch "redaktionelle Hetzmedien" zu erklären, die im Verbund mit den sozialen Medien ein "Amalgam der Boshaftigkeit" bildeten. So erklärte die New York Times den klaren Wahlsieg Emmanuel Macrons gegen Marine Le Pen damit, dass in der französischen Medienlandschaft ein Sender wie Fox News fehle. Dennoch sei das Wahlergebnis kein Grund für überschäumende Freude. Dass zwei Drittel der Wähler den einzigen Kandidaten wählten, der nicht rechtsradikale Positionen vertritt, sei so erfreulich, wie wenn nur 67 Prozent eines WLAN-Passwortes bekannt sei.

Wie problematisch der Tonfall in sozialen Medien auch jenseits der Politik ist, beschäftigt Community-Manager. In einer zum Teil kontroversen Diskussion griff Vivian Pein vom Bundesverband Community Management den Trend in Unternehmen und Institutionen in sozialen Medien an, einzelne Nutzer abzukanzeln. "Wann ist es legitim geworden, dass selbst Organisationen auf Leuten herumhacken, um mehr Likes zu bekommen?" Stattdessen müssten sich Community-Manager bemühen, das Niveau der Diskussion anzuheben, eine Community von Nutzern zu schaffen, die aus Eigenantrieb Hassrede und anderen Unarten entgegentreten.

Widerspruch erntete Pein dafür aus dem Publikum. Ein Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe BVG verteidigte den teilweise etwas schnoddrigen Ton des Unternehmens auf Twitter und Facebook. "Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es wieder heraus", erklärte der BVG-Mitarbeiter. Zudem werde in Berlin eine für Außenstehende als frech empfundene Antwort als weniger aggressiv wahrgenommen, sie stelle manchmal sogar erst einen menschlichen Kontakt her. (anw)