Frühling auf Speed

Es weht ein neuer Wind: Abgegrenzte Zeiträume lösen sich immer mehr auf in die Unaufhörlichkeit des digitalen Streams.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Im Mai 1958 war in Österreich digitaler Frühlingsbeginn. An der TU Wien wurde der erste Computer in Europa vorgestellt, in dem statt Elektronenröhren Transistoren zum Einsatz kamen. Die von einem Team um den Computerpionier Heinz Zemanek gebaute Maschine erhielt den jahreszeitenkompatiblen Namen "Mailüfterl", zugleich eine Anspielung auf amerikanische Vorläufer wie "Whirlwind" und "Taifun".

Inzwischen ist das scheinbar unerschütterliche Ordnungsgefüge der Jahreszeiten in Bewegung geraten, und damit verbunden ein fundamentales kulturelles Zeitmaß: die Saison. War frisches Obst, unabhängig von regionalen Erntezeiten, früher ein exotisches Luxusphänomen, ist es heute eine Selbstverständlichkeit geworden. Globalisierte Transportstafetten lösen die Strukturen auf, die den Jahreslauf bislang in voneinander unterschiedene Phasen aufgeteilt haben. Früher gab es bestimmte Dinge zu bestimmten Zeiten. Nun sorgt weltweite, digital geölte Mobilität dafür, dass es immer öfter alles immer gibt.

Worüber man einst Witze gemacht hat, ist längst Realität. Gelegentlich kann man bereits Ende August die ersten Weihnachtsartikel in den Supermärkten sehen. Die Konvergenz von Osterhase und Weihnachtsmann hat ihr Inbild in dem unausrottbaren Gerücht gefunden, es gebe eine einheitliche Gussform für Schokohasen und -weihnachtsmänner (Osterhasenohren = Weihnachtsmannmütze) und nur das bedruckte Silberpapier würde jeweils ausgetauscht.

Auf dem Weg zwischen Tagundnachtgleiche und Ostern weht nun ein neuer Wind. Die Saison, der abgegrenzte zeitliche Bereich, löst sich immer mehr auf im unaufhörlichen digitalen Stream. Was einst der Übergang von einem Zustand in den nächsten war, fließt jetzt fortwährend. Das macht sich nicht nur bei Erdbeeren und Nachrichten bemerkbar, die mittlerweile permanent verfügbar sind. Auch beispielsweise Buchverlage, die bisher ein Frühjahrs- und ein Herbstprogramm vorgestellt haben, produzieren zunehmend zeitunabhängig. Die Nachfolger von Harry Potter wissen längst, wie man man Magie betreibt – nämlich mit Computer und Internet.

Motor dieser grenzüberfliessenden Beschleunigung ist das rund um die Uhr geöffnete Netz, das auch Arbeits- und Ladenschlußzeiten auflöst. Online gibt es keine Sperrstunde und keinen Sendeschluß mehr. Der digitale Medienfluß ist zu einer neuen Umweltbedingung geworden. Etwas, das überall und immer da ist. Auch die Mode, Symbol schlechthin für den Saisonwechsel, muß zusehen, dass sie es in die neuen Strömungen der Zukunft schafft. Die Umschlaggeschwindigkeit dessen, was gefällt und was nicht, nimmt ständig zu. Klamottenketten wie Benetton, Zara oder Primark haben mit durchcomputerisierten Produktions- und Vertriebsmethoden den Zeittakt für Neues – den "Trouser Cycle" – auf wenige Wochen reduziert. Nicht mehr lang und man läuft Gefahr, dass einem die soeben ausgewählten Kleider auf dem Weg zur Kasse schon wieder aus der Mode geraten.

Beim Sortimentwechsel verschwinden auch erfolgreiche Artikel aus den Regalen. Die Kunden wissen: Wenn sie sich nicht beeilen, sind Sachen, die sie gern hätten, nicht mehr da. Abwechslung ist der Schlüsselbegriff und Logistik heißt das Zauberwort. Aber wenn Modegeschäfte alle paar Tage mit neuer Ware beliefert werden sollen, funktioniert das nur durch Rückgriffe auf regionale Hersteller, indem die Wege zwischen Produktion und Verkauf verkürzt werden. Nachdem Hersteller erst in Billiglohnländer ausgewichen sind, erweist sich in der nächsten Phase des wirtschaftlichen Wandels die Globalisierung manchmal schon wieder als Nachteil. (bsc)