Aus Sand gebaut

Gerhard Dust und Gunther Plötner fertigen stapelbare Steine aus Wüstensand. Menschen in Slums sollen sich daraus selbst ein Zuhause bauen können.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Daniel Hautmann

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 22.6.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Zäh plätschert der graue Brei in die Z-förmige Kiste. Eine Station weiter, auf dem Rütteltisch, wird er schwungvoll in alle Ecken verteilt. Jetzt heißt es warten. 20 Minuten lang härtet der Brei aus – und zwar ohne Energiezufuhr, wie ein Kleber. Das Ergebnis ist ein überdimensionaler, Z-förmiger Legostein, 40 mal 40 Zentimeter groß und mit einem Gewicht von 15 Kilogramm.

Geht es nach Gerhard Dust, Geschäftsführer von Polycare Research Technology im thüringischen Gehlberg, dann haben die unscheinbaren Steine das Zeug, die Welt zu verbessern: Laien sollen sich aus ihnen eigenhändig Häuser bauen, und zwar aus einem Grundstoff, der bislang als unbrauchbar galt – Wüstensand. Der ist vom Wind so rund geschliffen, dass ihn kein Zement der Welt zusammenhält. Für die Hochhäuser in Abu Dhabi etwa wird deshalb Sand aus Indonesien importiert, was schwerwiegende Konsequenzen hat: Strände verschwinden, Inseln rutschen ab, Meeresströmungen verändern sich. Die kleinen Körnchen sind inzwischen sogar zur lukrativen Schmugglerware avanciert. Doch Polycare will nun – nach jahrelanger Entwicklungsarbeit – einen Weg gefunden haben, der diesem Irrsinn ein Ende bereiten könnte: Statt mit Zement werden die Sandkörnchen mit Polyesterharz gebunden. Das Resultat nennt man Polymerbeton.

Polymerbeton wird zwar längst verbaut, etwa in Maschinenfundamenten oder Abwassersystemen, doch bislang kam niemand auf die Idee, ihn in Steinform zu gießen und für Häuser zu verwenden. „Die Bauindustrie ist äußerst konservativ und für neue Ansätze nur schwer zu gewinnen“, sagt Dust. Stefan Caba, der an der Technischen Universität Ilmenau die Arbeitsgruppe Verbundstrukturen und Leichtbau leitet, sieht das ähnlich: „Die Zementlobby ist einfach zu mächtig.“

Und so brauchte es Quereinsteiger, um die Idee umzusetzen. Dust brachte das nötige Geld mit, Plötner das technische Know-how. Als einstiger Logistikchef des Buchgroßhändlers Libri hatte Dust bereits vor Jahren seine Anteile am Unternehmen verkauft und sich in Florida zur Ruhe gesetzt. Doch als 2010 in Haiti die Erde bebte, Hunderttausende Menschen starben oder auf einen Schlag obdachlos wurden, konnte er nicht länger ruhigen Gewissens über den Golfplatz schlendern. Er wollte etwas Sinnvolles tun und erinnerte sich an ein Gespräch mit dem Ingenieur Gunther Plötner. Der hatte schon in der DDR an neuartigen Baustoffen gearbeitet, darunter an einer Methode, um aus Schlacke und Harz einen Werkstoff zu machen. Dann erzählte er Dust vor ein paar Jahren von dem Polymerbeton aus Wüstensand. Nach dem Beben in Haiti wusste Dust plötzlich, wozu das Material gut sein könnte. Er rief Plötner an, zog kurz darauf zurück nach Deutschland und gründete zusammen mit ihm Polycare.

Heute sitzen die beiden in Gehlberg im Thüringer Wald und feilen weiter an ihrem Plan. Der Standort hat Tradition: Hinter den alten Mauern wurden früher Glaskolben für Wilhelm Conrad Röntgen gefertigt. Die Gegend und der ehrwürdige Bau, sagt Dust, faszinieren seine Gäste immer wieder. Kein Wunder – fast alle kommen aus Gegenden, in denen Wald und Wasser Mangelware sind: „Auf dem Weg hierher musste ich mit einem Scheich schon einmal anhalten, weil er den Bach ansehen wollte.“

Die Anlage im Inneren der Fabrikhalle ist nur etwa so groß wie ein Kleinlaster. Schläuche saugen Sand und Harz an und vermischen beides, bevor die Pampe in die Formen plätschert. Von Hightech ist hier wenig zu sehen – das Geheimnis von Dust und Plötner ist eher die Rezeptur.

(jle)