Am Ende war der Apfel

Bereits die zweite Graphic Novel, die mir zu Alan Turing auf den Tisch kommt. Was hat dieses neue Werk zu bieten?

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Erst kürzlich hatte ich für die TR die Graphic Novel "The Imitation Game: Alan Turing Decoded" von Jim Ottaviani und Leland Purvis besprochen. Etwas später trudelte in der Redaktion ein weiteres Buch ein, auf dem groß der Kopf von Alan Turing prangte. So hat auch der Illustrator und Kommunikationsdesigner Robert Deutsch mit dem schlicht "Turing" betitelten Werk dem britischen Mathematiker, Informatiker und Kryptoanalytiker ein Denkmal in Form eines Comics gesetzt.

Es ist aber keines der Sorte eines flatternden Heftchens, ganz im Gegenteil: das knapp 200 Seiten fassende Hardcover kommt im Großformat daher und liegt schwer auf dem Schoß. Während Ottaviani und Purvis in ihrem Werk zwei Erzählebenen teilweise gleichzeitig verfolgen; zum einen Befragungen von Turings Wegbegleitern aus der Retrospektive durch eine Stimme aus dem Off und zum anderen der lineare Werdegang des genialen Briten; geht Robert Deutsch anders vor. Er beginnt mit dem entschlafenen Turing, um sich dann den Tagen und Wochen zuvor zuzuwenden. Über Zeitsprünge wird seine Arbeit am National Physical Laboratory, seine Zeit mit seiner Jugendliebe Christopher Morcom und seine Errungenschaften in Blechtley Park beleuchtet. Stärker im Vordergrund als etwa bei Ottaviani steht Turings Homosexualität und die Konflikte, die sich daraus ergeben. Aber auch seine Unsicherheiten gegenüber anderen Menschen, seine große Begeisterung für seine Arbeit und seine kauzigen Eigenheiten, wie etwa einen Wecker bei sich zu haben, der zur Teatime klingelt, werden deutlich.

Es ist zu spüren, dass es dem Illustrator daran lag, Turings Charakter viel Raum zu geben. Aber auch seine wissenschaftlichen Theorien finden Platz. So lässt ihn Deutsch etwa den Turing-Test erklären und bettet diese Situation ein, als Turing von zwei Journalisten zu seiner Arbeit befragt wird. Auf einer Doppelseite erscheint Turing als überlebensgroße Figur, die mit zwei Fingern zuerst die Journalistin in das eine Zimmer eines Puppenhauses setzt, dann den zweiten Journalisten in einen weiteren Mini-Raum und schließlich einen Roboter. So wird der Ansatz des Interviewers und der Interviewten plastisch. Auch der Enigma-Maschine und der Turing-Bombe räumt er mehr als zwei Doppelseiten ein. Dem Stil nach sind sie Bauzeichnungen, mit Höhen- und Breitenangaben, die auch einen Blick ins Innere ermöglichen.

Überhaupt sind gerade die Perspektiven, die Deutsch aufgreift, spannend und gelungen. Er arbeitet über mehrere Panels mit der Vogelperspektive oder macht aus einer Doppelseite ein überdimensionales Bild, das an Wimmelbilder für Kinder erinnert – etwa an der Stelle, als Turing die Journalisten über mehrere Ebenen durch das National Physical Laboratory führt. Sie gehen oben rechts die Treppen herunter, erreichen in der Mitte einen Raum mit dem Mark I, gehen weiter nach links unten, um schließlich nach rechts auf den Ausgang zuzugehen. An den Zeichenstil musste ich mich zunächst gewöhnen, er hat etwas naives und flächiges mit satten Farben. Deutsch lehnte sich hier an die 1950er Jahre Acrylbilder an.

Wiederkehrend ist vor allem das Schneewittchen-Motiv, das Turing vermutlich sein ganzes Leben lang begleitet hat. Ein Kinobesuch 1938, bei dem er den Film "Schneewittchen und die sieben Zwerge" gesehen hatte, hatte großen Eindruck auf ihn hinterlassen. So obliegt auch dem Apfel gewissermaßen das Schlusswort von Deutschs Graphic Novel. Das angebissene Obst kann zugleich als Symbol gelesen werden, das auf einen Teil der heutigen Mobilgeräte hindeutet, die wir mit uns herumtragen, beschreibt Deutsch im Interview mit dem Deutschlandfunk. Computer in der Hosentasche, ganz wie es Turing sich vorstellte.

Robert Deutsch: Turing, Avant-Verlag, 192 Seiten, 29,95 Euro

(jle)