Grüne und die Jamaica-Vibes

Bild: Bündnis 90/ Die Grünen, Facebook

Am Ende könnte die FDP die Grünen bremsen, wenn die mal wieder der Meinung ist, dass der deutsche Umweltstandard die Formel für die Weltrettung ist

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Ob der Grüne Co-Vorsitzende Cem Özdemir noch einen Nebenjob als Werbeträger für Kosmetika hat? Fast scheint es so, wenn man seine Twittermeldung von vor einigen Tagen sieht. Unter dem Foto mit Tube Duschgel, das die Aufschrift "Jamaica Vibes" trägt, schrieb der Grüne Realo: "Ich hatte keine Wahl. Einziges Duschgel heute Morgen."

Damit schaffte es Özdemir in die Bildzeitung und damit hatte er wohl einen Hauptzweck schon erreicht. Özdemir hat es wieder in die Medien geschafft und sich damit unmittelbar vor dem Parteitag der Grünen noch mal politisch positioniert. Dass Özdemir genau so wie seine Partnerin im Grünen-Vorsitz Katrin Göring Eckardt eine Koalition mit der Union präferieren, ist schon länger bekannt. Dass sie damit parteiintern keineswegs isoliert sind, ist auch kein Geheimnis.

Doch, dass auch die von vielen Grünen politisch schon abgeschriebene FDP nun womöglich mit ins Regierungsboot soll, ist vielen Grünen schon schwerer zu vermitteln. Das hat aber weniger politische Gründe, im neoliberalen Staatsumbau können Grüne und FDP schließlich gut konkurrieren. Das Programm der Jamaica-Koalition in Schleswig-Holstein ist sogar für die grünennahe Taz eine sozialpolitische Bankrotterklärung.

Es sind eher geschmäcklerisch-kulturalistische Differenzen, die vielen Grünen ein Bündnis mit der FDP nicht leicht machen. Das gilt übrigens auch umgekehrt. Schließlich hat sich die wiedererstarke FDP die Grünen zum Lieblingsgegner aufgebaut. Es handelt sich dabei um einen Streit im liberalen Spektrum. Historisch gab es da schon lange Differenzen zwischen National- und Sozialliberalen. In der Weimarer Republik waren sie auch auf zwei Parteien aufgeteilt.

Der FDP war es zeitweise gelungen, die differenzierte liberale Szene in einer Partei zu vereinen. Das wird FDP und Grünen so schnell nicht gelingen, weil eben die kulturellen Milieus doch zu verschieden sind. Das heißt nicht, dass sie bald auch bundesweit zusammen Politik machen können.

"Ehe für Alle" kein Hindernis für eine Jamaika-Koalition

Der Bundesparteitag der Grünen hat hier zumindest eher die Signale für eine solche Koalition gesetzt. So wurde die "Ehe für Alle" zur Voraussetzung jeder Koalition mit den Grünen beschlossen. Das wird schon als möglicher Stolperstein für ein Bündnis mit der Union interpretiert. Doch längst gibt es im modernistischen Flügel der Union Stimmen, die eine Ehe für Alle im Interesse einer Koalition mit den Grünen hinzunehmen bereit sind.

Hier könnte die FDP dann ins Spiel kommen, die mit der Ehe für Alle anders als mit sozialpolitischen Forderungen keine Probleme hat. So könnten auch bei einem Großteil des grünen Spektrums die Aversionen gegen die FDP an Bedeutung verlieren Wie man seinem Umfeld ein Bündnis mit dieser Partei schmackhaft machen kann, zeigt ein Kommentar, den der Chefredakteur des Greenpeace-Magazins Kurt Stukenberg vor ca. einen Monat in der taz veröffentlichte.

"Die Grünen sollten mutig auf ein Jamaika-Bündnis setzen. Rechnerisch und inhaltlich wäre das die beste Wahl", meint die publizistische Stimme einer Organisation, deren Ziel schon immer darin bestand, den Kapitalismus effektiver zu machen und mögliche Schwachstellen zu enttarnen. Stukenbergs Argumentation für ein Bündnis mit der Union und der FDP wird im Umfeld der Grünen ähnlich wiederholt.

Der Glaube an die Machtperspektive Rot-Grün dürfte selbst den unerschütterlichsten Jüngern vergangen sein, eine solche Mehrheit ist schlicht unerreichbar. Und weil Sahra Wagenknecht nicht ablässt, vom verbotenen, süßen Apfel des Populismus zu kosten, und die Linke es versäumt hat, sich realpolitisch zu erneuern, gilt auch Rot-Rot-Grün als praktisch ausgeschlossen. Ein Bündnis mit der Union hat hingegen unter vielen Funktionären und Anhängern der Grünen seinen Schrecken verloren. Auch aufgrund der Erfahrungen in Hessen und Baden-Württemberg.

Kurt Stukenberg

Im nächsten Schritt muss man jetzt auch der Kooperation mit der FDP Vorteile abgewinnen und das fällt Stukenberg nicht schwer.

Da Dreierbündnisse wahrscheinlicher werden, könnte nach der Bundestagswahl auch die FDP auf der schwarz-grünen Regierungsbank Platz nehmen. Wer dabei kulturelle Unterschiede geltend macht, sollte auch hier kühl rechnen und auf die Kernthemen schauen. Denn mit der FDP hätten die Grünen einen Verbündeten, um ihr zentrales Anliegen einer offenen Gesellschaft und solider Bürgerrechte gegenüber der CDU durchzusetzen. Die Liberalen bieten sich als Partner bei der Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung und der Eindämmung von Onlinedurchsuchungen ebenso an wie bei der Durchsetzung der Ehe für alle.

Kurt Stukenberg

So war es eher eine Bestätigung und nicht eine Absage an eine Jamaika-Koalition, das die Grünen nun die Ehe für Alle zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung machten. Es wird in der Union, vor allem in der CSU, dagegen einigen Widerstand geben.

Doch, wenn es zur Abstimmung kommt, dürfte daran eine Koalition nicht scheitern. Zumal die Grünen mit ihren Forderungskatalog, der an einigen Punkten von den schon vor einigen Wochen beschlossenen 10 Punkte-Programm abweicht, die Interessen des modernen deutschen Kapitalismus mustergütig ausformulieren. Ob es um den Ausstieg aus der Kohle oder den Diesel oder die Abwrackung der Tierfabriken geht, immer werden die Interesse des Standort Deutschland mit besonders viel Moralsülze überzogen.