Post aus Japan: Nippon entdeckt die Biomasse

Das Land der aufgehenden Sonne ist eines der waldreichsten Länder der Welt. Aber Biomasse hatte es bisher schwer, sich neben Atomkraft, fossilen Kraftwerken und Sonnen- und Windkraftanlagen zu behaupten. Bis jetzt.

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Von
  • Martin Kölling

Der Technikkonzern Toshiba diktiert seit mehr als einem Jahr vor allem negative Schlagzeilen. Krisengebeutelt kämpft er um sein Überleben, ein Drama, dass die Aktionäre und die globalen Wirtschaftsmedien in Atem hält. Dabei hat der Konzern auch gute Geschichten zu erzählen. Und eine ist sein Einstieg in die Stromerzeugung mit Biomasse. Im April nahm Toshibas erstes Biomasse-Kraftwerk seine Arbeit auf.

Dazu hat das Unternehmen ein Kohlekraftwerk auf der südjapanischen Insel Kyushu umgerüstet, das nun zuerst mit Abfall aus der Palmölherstellung befeuert werden soll. Die 50-Megawatt-Anlage wird künftig 80 000 Haushalte mit Strom versorgen und nebenbei den Kohlendioxidausstoß um jährlich 300 000 Tonnen verringern.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Früher, als Toshiba nicht ums Überleben kämpfte, wäre das vielleicht eine größere Schlagzeile in Japan wert gewesen. Jetzt war es nur Artikelchen. Dabei wäre mehr Aufmerksamkeit auch heute gerechtfertigt. Denn Toshibas Vorstoß steht für einen noch recht jungen Trend: Der Konzern ist bei weitem nicht mehr der einzige Neueinsteiger in die alte Technik. Biomasse als Energiequelle in größeren Kraftwerken ist im Bewusstsein der Japan AG angekommen.

Ein weiterer Beleg: Im Juni kündigte die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs an, dass sein Öko-Energieunternehmen Japan Renewable Energy bis 2020 zehn Biomasse-Kraftwerke in Japan bauen werde. Immerhin 310 Millionen Euro will das Unternehmen investieren, das bisher vor allem Solarkraftwerke baute. Denn die Subventionen für Sonnenstrom sinken.

Auch immer mehr Gemeinden und Firmen springen auf den Zug auf. Besonders rührig sind die bisherigen Stromkonzerne. Weil fast alle Atomkraftwerke abgeschaltet sind, brennen Japans Gas- und Kohlekraftwerke seit Jahren unter Volllast. Und die Stromerzeuger wollen nun vermehrt Holzreste in ihren Kohlemeilern mitverfeuern, um Kosten und Kohlendioxidemissionen zu senken.

Das ist durchaus im Sinne der Wirtschaftsplaner. Die amtliche Energiestrategie sieht vor, bis 2030 die Nutzung von Biomasse in Japans Energiemix auf bis zu 50 Milliarden kWh auszudehnen, dreimal so viel wie 2013. Mit einem Anteil von bis zu 4,6 Prozent am Energiemix wäre Biomasse nach Wasserkraft und Sonnenstrom Japans drittgrößte erneuerbare Energiequelle.

Zwar ist die Energiestrategie mit Vorsicht zu genießen. Denn sie sieht auch vor, dass der Anteil von Atomstrom bis dahin wieder von derzeit ein paar Prozent auf 20 bis 22 Prozent des Energiemixes steigen soll. Nur halten viele Experten dies für politisch nicht erreichbar. Aber immerhin geht es mit den erneuerbaren Energien bergauf: 27 Prozent sind für Gas eingeplant, 26 Prozent für Kohle, drei Prozent für Öl und 22 bis 24 Prozent für grüne Energien, mehr als doppelt so viel als noch vor ein paar Jahren.

Allerdings ist etwas überraschend, dass Japan offenbar seine Nachfrage nach nachwachsenden Brennstoff zu einem großen Teil aus Importen decken will. Dabei sind immerhin fast 70 Prozent der Fläche mit Wäldern bedeckt – und davon 40 Prozent mit oft wenig genutzten Industrieforsten aus schnellwüchsigen Nadelbäumen.

Nur produziert die Holzwirtschaft nicht genug Brennstoff, da heimisches Holz lange preislich nicht mit Angeboten aus anderen Teilen der Welt mithalten konnte. Erst seit 2010 steigt die Produktion von Holz nach Jahrzehnten des Siechtums wieder. Die Zellulose wird daher in immer größerem Maßstab importiert – vor allem aus Kanada und Südostasien.

Dabei drängt sich mir die Frage auf, ob die Verschiffung von immer größeren Biomassenmassen mit extrem verschmutzenden Frachtern nicht der ursprünglichen Idee dieser Energiequelle zuwiderläuft. Bisher hatte ich gedacht, dass ein Vorteil der Biomasse ihre lokale Erzeugung ist, besonders in einem waldreichen Land wie Japan. Aber vielleicht bin ich nur naiv oder zu schlecht informiert.

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