Bundestag beschließt befristete Urheberrechtsreform für die Wissenschaft

Buchverleger befürchten den Untergang, Forscher sprechen von einem ersten Schritt in die richtige Richtung: Laut einem neuen Gesetz dürfen Dozenten Werkteile kopieren oder in elektronische Semesterapparate einstellen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Bundestag beschließt befristete Urheberrechtsreform für die Wissenschaft
Lesezeit: 4 Min.

Mit der Mehrheit der großen Koalition hat der Bundestag am Freitag einen umstrittenen Gesetzentwurf zur Urheberrechtsreform verabschiedet. Lehrer und Forscher können damit künftig 15 Prozent eines urheberrechtlich geschützten Werks kopieren oder in elektronische Semesterapparate einstellen. Dozenten müssen dabei nicht aufwändig prüfen, ob es schon ein "angemessenes Lizenzangebot" von Verlagsseite für ein betroffenes Buch oder eine Fachzeitschrift gibt. Für die eigene wissenschaftliche Forschung sollen sie bis zu 75 Prozent eines Werks verwenden dürfen. Die Linke stimmte gegen die Initiative, die Grünen enthielten sich.

Bibliotheken können laut der eingedampften "Bildungs- und Wissenschaftsschranke" vom 1. März 2018 an auch an Leseterminals in ihren Räumen je Sitzung bis zu zehn Prozent eines Werks für nicht-kommerzielle Zwecke verfügbar machen sowie Interessenten "auf Einzelbestellung" Kopien zuschicken. Vertragliche Vereinbarungen mit Verlagen sollen dabei aber Vorrang haben vor der gesetzlichen Erlaubnis. Mit der Reform werden erstmals Vervielfältigungen im Rahmen von Text- und Data-Mining erlaubt, wenn auch nur für nicht-kommerzielle Zwecke.

Das Parlament hat sich damit im Kern für ein Vorhaben der Bundesregierung ausgesprochen, mit dem diese Vervielfältigungsprivilegien für Wissenschaftler und Forschungsinstitute aus mehreren verstreuten Paragrafen im Urheberrechtsgesetz bündeln und "behutsam erweitern" wollte. Die überarbeiteten Bestimmungen werden aber zunächst bis Ende Februar 2023 befristet. Die Regierung erhält den Auftrag, das Gesetz nach vier Jahren zu evaluieren. In einer Entschließung drängen die Volksvertreter ferner zu einem Dialog zwischen Rechteinhabern und Nutzern mit dem Ziel, binnen fünf Jahren "eine zentrale Online-Lizenzierungsplattform aufzubauen".

Der Börsenverein des deutschen Buchhandels wertete den Beschluss als "großen Fehler". Der Entwurf sei "offensichtlich verfassungswidrig" und bedrohe "weltweit vorbildliche Publikationsstrukturen, die Garant für Qualität und Vielfalt sind, massiv".

Die Koalition sei mit den Änderungen wieder eingeknickt vor der Verlagslobby, wetterte dagegen die Linke Petra Sitte. Diese habe es schon früh geschafft, die Grenze vieler erlaubter Nutzungen von 25 auf 15 Prozent zu drücken. Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine hätten später trotzdem noch eine Desinformationskampagne betrieben. Wer auf Zeitungsartikel zurückgreifen wolle, falle aufgrund einer letztlich eingeführten Ausnahme "in völlige Rechtsunsicherheit". Völlig offen sei, was mit elektronischen Semesterapparaten angesichts der langen Übergangsfrist und der bisher ausgehandelten Zwischenlösung von Oktober an passiere. Sitte vermisste generell eine allgemeine Öffnungsklausel und eine Regel für das Verleihen von E-Books.

"Was lange währt, wurde leider nicht gut genug", beklagte Kai Gering von den Grünen. In den Beratungen habe der ursprüngliche Entwurf eine "Unwucht" erhalten, obwohl sich längst ein "großer Modernisierungsstau gebildet" habe. Die Befristung produziere Rechtsunsicherheit. Insgesamt handle es sich um einen "halbherzigen Zwischenschritt", mit dem Deutschland als Bildungsnation zurückzufallen drohe.

Nach einem jahrelangen Streit verankere das Parlament einen "gesetzlichen Basiszugang", verteidigte Bundesjustizminister Heiko Maas die Initiative. Damit müsse nicht mehr mit viel Aufwand um Erlaubnis gefragt werden, wenn wissenschaftliche Werke für Lehre und Bildung genutzt werden sollen. Solcherlei müsse aber angemessen vergütet werden. "Wir schaffen damit ein praxistaugliches Recht", konstatierte der SPD-Politiker. Schließlich könne kein Lehrer erst vor dem Einscannen eines Textes prüfen, ob Preis und Bedingungen für ein kommerzielles Lizenzangebot angemessen seien. Die Wissenschaftsverlage dürften damit aber ebenfalls weiter bestehen.

Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) lobte den "Kraftakt" als "wichtiges Signal für eine moderne Wissenschaftslandschaft". Forschungseinrichtungen und Hochschulen hätten neben Bibliotheken und Archiven lange darauf gewartet. Es gehe aber "nicht um Bildung zum Nulltarif". Das Gesetz lasse genügend Spielraum für neue Nutzungs- und Lizenzmöglichkeiten. (anw)