Urheberrecht: EU-Parlament segnet Europaversion der Blindenschranke ab

Mit breiter Mehrheit hat das Europaparlament die lange diskutierte Urheberrechtsausnahme für Blinde und Sehbehinderte verabschiedet. Prompt nimmt die Europäische Blindenunion deswegen die deutsche Regelung zu "Ausgleichsvergütungen" für Verlage aufs Korn.

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EU-Parlament segnet Europaversion der Blindenschranke ab

(Bild: Roland DG Mid Europe Italia, CC BY 2.0)

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Von
  • Monika Ermert
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Das Europäische Parlament hat mit über 600 Stimmen Urheberrechtsausnahmen zugunsten von Blinden und sehbehinderten Menschen in der Union und weltweit abgesegnet. Die EU-Mitgliedsländer müssen die Regelungen nun innerhalb eines Jahres implementieren. Die Europäische Blindenunion will sofort mögliche "Ausgleichsvergütungen" für Verlage rechtlich prüfen lassen – als Musterbeispiel dafür soll kommende Woche eine kleine Anfrage bei der Kommission zum deutschen Gesetz eingereicht werden.

Vier Jahre hat sich die Europäische Union Zeit gelassen, um die von der Weltorganisation für Geistiges Eigentum 2013 im Vertrag von Marrakesch beschlossene Urheberrechtsausnahme für Blinde und Sehbehinderte in europäisches Recht umzusetzen. Mit der Abstimmung des Europäischen Parlaments über eine Richtlinie zur Blindenschranke und einer Verordnung über den grenzüberschreitenden Austausch der Sonderformate ziehen die Europäer nun endlich nach.

Die Richtlinie erlaubt Bibliotheken und Blindenorganisationen die Herstellung der Braille- oder Hörversionen. Die Verordnung regelt den grenzüberschreitenden Versand mit Drittländern. Gerade in den Schwellen- und Entwicklungsländern fehlen Bücher in Blindenschrift. Statt 5 Prozent verfügbarer Titel sind dort häufig unter einem Prozent der Titel verfügbar.

Der Berichterstatter im Europäischen Parlament, der Grüne Max Andersson, und die Europäische Blindenunion (EBU) begrüßten schon vor der Abstimmung, den Schritt. EBU-Präsident Wolfgang Angermann drückte zugleich aber auch die Enttäuschung seines Verbands über die von Verlagen erstrittene Option von "Ausgleichszahlungen" aus. Mitgliedsländer können demnach solche Ausgleichszahlungen unter bestimmten Voraussetzungen in ihren nationalen Gesetzen einführen.

Im deutschen Urheberrecht sind "angemessene Ausgleichszahlungen" für die Verlage bereits Teil der 2003 national eingeführten Blindenschranke (§45 a UrhG). Die Blindenschranke erlaubte die Herstellung von Kopien für Behinderte, nicht allerdings den grenzüberschreitenden Austausch. Die Ausgleichszahlungen hält man bei der EBU überdies inzwischen für rechtlich angreifbar, denn in der 2009 vom Bundestag angenommenen Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte der Behinderten dürfen Blinde nicht mehr benachteiligt werden – etwa durch höhere Kosten für Leihbücher.

Nach Ansicht der EBU entstehen den Verlagen durch die Übertragung der Werke allerdings keinerlei wirtschaftliche Nachteile. Das Geschäft mit den zugänglichen Versionen ist laut Angermann aufwändig. Die Dienstleister in Deutschland seien durchweg gemeinnützige Organisationen. Finanziert werde die Arbeit über Spenden und – in geringem Umfang – über öffentliche Zuschüsse. Dass aus diesem Geld die Verlage bezahlt werden sollen, sei nicht gerade im Sinn der Spender, so Angermann.

Bereits kommende Woche will die EBU nun die aktuelle deutsche Regelung aufs Korn nehmen, praktisch als Exempel für andere nationale Regenlungen nach dem Vertrag von Marrakesch. Bei der Kommission will man anfragen, ob Deutschland nicht schon jetzt gegen die Behindertenkonvention einerseits und gegen bestehende Ausnahmen in der Urheberrechtsrichtlinie der EU andererseits verstoße. Die EBU steht außerdem bereit, die Umsetzung der nun verabschiedeten Regelungen generell rechtlich überprüfen zu lassen, um abzusichern, dass der geforderte "mehr als geringfügige" Schaden der Verlage jeweils tatsächlich nachgewiesen wird.

Die EU muss im nächsten Schritt den Vertrag von Marrakesch nun auch noch offiziell ratifizieren. Damit ergibt sich für Bremser eine weitere – zu denen das deutsche Justizministerium gehört – das endgültige Inkrafttreten nochmal einmal zu verzögern. (mho)