Kommentar: Das Silicon Valley schwappt über vor Sexismus

Der Ballungsort der Startup-Firmen hinkt in Sachen Gleichberechtigung noch ein paar Jahrhunderte weiter zurück als der Rest der Weltwirtschaft, findet Julius Beineke.

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Kalanick

Nach Sexismus-Vorwürfen ging Uber-Chef Travis Kalanick in eine "unbefristete Auszeit".

(Bild: dpa, Will Oliver/Archiv)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Julius Beineke
Inhaltsverzeichnis

Gerade die Tech-Startups im amerikanischen Silicon Valley wollen für Fortschritt stehen und die Welt besser machen. Ein nobles Ziel. Ein Ziel, das in Sachen Technik und Innovation auch viele Unternehmen erreichen und uns moderne Wunder wie Amazon-Shopping, Tesla-Autos und den Uber-Fahrdienst bringen. Ein Ziel, für dessen Erreichen sich die Erfinder rühmen und von ihren Nutznießern und Mitarbeitern vergöttern lassen. Leider ist es auch ein Ziel, an dem Männer in Führungspositionen regelmäßig fulminant vorbei schlittern, wenn es um Menschlichkeit, Fairness und Gleichberechtigung geht.

Das zeigte sich in den letzten Wochen mal wieder deutlich – durch Berichte von Frauen, die in der Männer-dominierten Startup-Branche arbeiten. Hier trauten und trauen sich nämlich derzeit immer mehr, von ihren persönlichen Erfahrungen zu erzählen.

Ein Kommentar von Julius Beineke

Julius Beineke, c't-Volontär, hat was mit Medien studiert und schreibt gern über Games, Netzkultur und Ethik. Sonst zockt er, beschäftigt sich mit chinesischer Kampfkunst und weiß etwas mehr über Star Wars als die meisten.

Mutige, wie die ehemalige Tesla-Ingenieurin AJ Vandermeyden berichten von ausbleibenden Beförderungen, die dann an die männlichen Kollegen gehen, und einem mehr als unangenehmen Arbeitsumfeld – Pfiffe und Gegrapsche inklusive. Die ehemalige Uber-Technikerin Susan Fowler bloggte, was der ehemalige Uber-CEO Travis Kalanick sich so leistete. Da blieb es leider nicht bei Alltagssexismus wie geringerem Lohn und dem Übergangenwerden bei der Beförderung. Sex-Angebote und Nötigung bei Ablehnung mussten es da anscheinend sein.

Das Wort "ehemalig" ist in dieser unangenehmen Geschichte recht prominent – klar, solche Skandale sind schlecht fürs Geschäft. Wenn sowas ans Licht kommt, wird meist halbherzig nachgeforscht und dann die Entlassung aller Beteiligten in die Wege geleitet. Bemühungen zur Behebung des Grundproblems sind rar – aber sie sind nötig! Sexismus, Diskriminierung und Belästigung von Frauen sind leider noch immer weltweit an der Tagesordnung. Aber ich wäre erst einmal intuitiv davon ausgegangen, dass es in so zukunftsorientierten Bereichen wie der Startup-Szene anders läuft. Da finden sich doch an jeder Ecke junge Leute zusammen, die mit klugen, unverstaubten Köpfen die Zukunft besser machen wollen. Die Kinder und Jünger von globaler Vernetzung und High-End.

Pustekuchen! Nach einem Moment des Nachdenkens folgte bei mir einigermaßen schnell die Ernüchterung: Was passiert wohl, wenn man eine Bande weißer, männlicher Mittzwanziger mit ein paar Millionen Dollar in ein Tal sperrt und ihnen keinerlei Auflagen gibt? Sowas wie Vandermeyden und Fowler erlebten passiert dann. Klingt ein bisschen nach Ageismus, nach Anti-Amerikanismus, man hört gar ein gerauntes "Feminazis" – klingt aber leider auch naheliegend.

Da muss was passieren, so kann es nicht weiter gehen! Ein erster Schritt wäre, die Kritik der Betroffenen ernst zu nehmen, anstatt sie zu feuern oder aus dem Job zu ekeln. Manche, wie Jungunternehmerin Cheryl Yeoh sind bereits so genervt, dass sie selbst grundlegende Regel-Modelle für solche Fälle erarbeiten. Yeoh publizierte auf ihrer Homepage kürzlich eine Geschichte, in der Startup-Investor Dave McClure, sexuelle Nötigung und ein unschönes Mächteverhältnis zentrale Rollen spielten. Sie schließt ihren unangenehm detaillierten Bericht nicht wütend oder hetzend, sondern konstruktiv ab – und liefert einen sinnvollen Entwurf für Firmenrichtlinien zum Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.

Yeoh übernahm damit einen Job, der nicht der ihre sein sollte. Die eigentlich Verantwortlichen – nämlich die Firmen selbst – erachten ihn aber offenbar noch nicht für wichtig genug, um das Nötige zu tun. Da könnte man Yeoh sowie ihre Kolleginnen wenigstens ernst nehmen. Letztendlich geht es auch den Betroffenen nicht um Rache oder Genugtuung, sondern um faire Behandlung – was in den meisten Fällen bedeutet, einfach in Ruhe ohne blöde Sprüche oder ständige sexuelle Avancen arbeiten zu können. Aber solange man solche Selbstverständlichkeiten einfordern muss, steht das Valley nicht nur für Fortschritt, sondern auch fürs Mittelalter. (jube) / (axk)