Fragen Sie Ihren Account, nicht den Apotheker

Wie es um die Gesundheit der Bevölkerung steht, verrät ein Blick auf ihre digitalen Spuren. Die Daten liefern Hinweise auf Schlafgewohnheiten, Nebenwirkungen von Medikamenten und den Blutdruck am Wochenende.

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Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Susanne Donner

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 20.7.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Am Anfang war die Euphorie groß. Digitale Daten würden verraten, wie sich die Grippe ausbreitet und wo die nächste Pandemie losgeht. Sie würden offenbaren, wo die Achillesferse der Gesundheit einer ganzen Bevölkerung liegt – vielleicht beim Blutdruck, vielleicht beim Diabetes. 2014 dann zeigte sich, wie falsch Google mit seinen „Flu Trends“ lag. Das Getöse ließ nach, es wurde fast ein wenig still um die Vision der digitalen Epidemiologie.

Doch der Eindruck trügt. Ging es in der Anfangsphase darum zu demonstrieren, dass die Erkenntnisse aus Twitter und Smartphones wasserdicht sind, werden nun gänzlich neue Ergebnisse gewonnen, die sich mit klassischen Methoden nicht erheben lassen. „Wir nutzen dazu Daten, die im normalen Gesundheitssystem nicht erfasst werden“, erklärt einer der Pioniere der digitalen Krankheitsbekämpfung, Marcel Salathé von der Polytechnischen Hochschule in Lausanne. Soziale Medien, Smartphone- und Computerdaten, aber auch Wearables sind der Fundus, aus dem die Forscher schöpfen. Auch nationale Gesundheitsbehörden wie das Robert-Koch-Institut (RKI) wollen künftig an diese Datenquelle anknüpfen. „Die Bedeutung der digitalen Epidemiologie wird in der Zukunft erheblich wachsen“, meint RKI-Präsident Lothar Wieler. Deshalb baue man die Dateninfrastruktur der Behörde entsprechend um.

Die ersten Erkenntnisse, die allein aus der digitalen Welt kommen, geben allen Grund, den Trend zu stützen. So zeigte Salathé 2015, dass sich aus Tweets die Nebenwirkungen von Medikamenten herauslesen lassen. Er durchforstete das soziale Medium fünf Jahre lang nach bestimmten HIV-Medikamenten und Schlüsselwörtern wie „Nebenwirkungen“ oder verschiedenen Begriffen für Schmerzen und Beschwerden. Aus vierzig Millionen Kurznachrichten fischte ein Computerprogramm 1642 relevante Tweets heraus. „Wir konnten für jedes Arzneimittel ein Profil erzeugen, das die Probleme sehr gut abbildet“, erklärt Salathé. Der HIV-Wirkstoff Efavirenz etwa ging mit Schlafstörungen einher. Die Patienten twitterten über Albträume und darüber, dass sie nicht mehr durchschlafen könnten. Diese Nebenwirkungen sind zwar bekannt, aber Daten zu ihrer Häufigkeit fehlen. „Das Verfahren ist sehr schnell“, sagt Salathé. Es gibt immer wieder Medikamente, die vom Markt genommen werden müssen. Die könnte man künftig per Twitteranalyse finden.“

(grh)