Trotz EuGH-Kritik: EU-Kommission will an Fluggastdatenspeicherung prinzipiell festhalten

Datenschützer, Bürgerrechtler, Linke, Grüne und Liberale sind sich einig, dass nach dem Stopp des Flugpassagierdatenabkommens mit Kanada auch Verträge mit anderen Ländern sowie das hiesige Gesetz vor dem Aus stehen.

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Trotz EuGH-Kritik: EU-Kommission will an Fluggastdatenspeicherung prinzipiell festhalten

(Bild: dpa, Christian Charisius / Archiv)

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Die Gegner ständig neuer Übereinkommen, Richtlinien und nationaler Gesetze, mit denen teils sensible personenbezogene Informationen lange Zeit auf Vorrat anlasslos gespeichert werden und von Sicherheitsbehörden ausgewertet werden dürfen, sehen sich mit der klaren Ansage des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Abkommen für den Austausch von Fluggastdaten mit Kanada bestätigt. Ihrer Ansicht nach müsse nun nicht nur diese Übereinkunft gestoppt werden, sondern auch viele vergleichbare.

Die EU-Kommission will sich aber nicht zu raschen Schritten drängen lassen. Sie werde das Gutachten aus Luxemburg nun zunächst "sorgfältig prüfen", erklärte der für die Sicherheitsunion zuständige Kommissar Julian King am Mittwochabend. Mit Kanada "würden wir gern analysieren, wie wir die Bedenken des Europäischen Gerichtshofs" in Bezug auf das geplante Abkommen "aus dem Weg räumen können".

Da der vorgesehene Informationsaustausch "für die Sicherheit unserer Bürger von entscheidender Bedeutung" sei, will die Kommission laut King aber "alles tun", um sicherzustellen, dass dieser fortgesetzt werde und dabei die Grundrechte gewährleistet würden. Das gelte auch für "andere internationale Partner".

Kritikern geht dies längst nicht weit genug: "Alle bisher abgeschlossenen Abkommen dieser Art, also auch mit den USA und Australien, sowie die zuletzt verabschiedete EU-Richtlinie zur Schaffung solcher Sammlungen und Analysen in der EU müssen jetzt überarbeitet werden", betonte der innenpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Jan Philipp Albrecht. Würden derlei Bestimmungen weiter angewendet, verletze dies die Grundrechte auf Datenschutz und Privatleben. Die Analyse der Luxemburger Richter bescheinige dem europäischen Gesetzgeber auch erneut, dass er "bei Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen über die Grenzen des Zulässigen hinausgeht".

Ein einfaches "Weiter so" kann es laut Albrecht nicht mehr geben. Zudem müssten auch die EuGH-Urteile gegen die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten in den Mitgliedsstaaten endlich durchgesetzt werden. Joe McNamee von der Initiative European Digital Rights (EDRi) appellierte ebenfalls an die EU-Kommission und Regierungsvertreter, die nötigen Schritte einzuschlagen und "alle illegalen Gesetze und Praktiken zur Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen". Derlei hätten keinen Platz in einer demokratischen, rechtsbasierten Gesellschaft.

Ähnlich äußerten sich nationale Politiker wie der Linke Jan Korte oder der Verein Digitale Gesellschaft. Sie unterstrichen zusätzlich, dass das vom Bundestag im April beschlossene Gesetz, wonach hierzulande Passenger Name Records (PNR) im Sinne der EU-Vorgaben fünf Jahre lang aufbewahrt werden müssen, ebenfalls aufzuheben sei. Laut Korte rächt sich nun, dass die große Koalition die Richtlinie aus Brüssel trotz einer Frist bis Mai 2018 vorschnell umgesetzt habe. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff hatte im April an das Parlament appelliert, das in Kürze zu erwartende EuGH-Gutachten abzuwarten. Der Ruf der CDU-Politikerin fand in den Regierungsfraktionen aber kein Gehör.

Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum kündigte gegenüber dem Spiegel an, dass die FDP gegen das hiesige Gesetz Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einlegen werde. Es verstoße nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern auch gegen Europarecht, konstatierte der FDP-Politiker. Die "anlasslose Rasterfahndung" aller Flugreisenden müsse verhindert werden.

Mit dem Gutachten zögen die Luxemburger Richter "eine klare rechtsstaatliche rote Linie für mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und grenzüberschreitender schwerer Kriminalität", lobte der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar. Es bleibe zu hoffen, "dass die ständige Rechtsprechung des EuGH Anstoß gibt zu einem abgewogeneren Ausgleich zwischen Kontrollen des Staates und dem Schutz von digitalen Grundrechten insbesondere im Licht des Schutzes vor Diskriminierungen".

Der EuGH hat die Praxis, PNR zu sammeln und Behörden in Ländern wie Kanada zu übermitteln, nicht pauschal verworfen. Die damit verbundenen Grundrechtseingriffe könnten gerechtfertigt sein, wenn damit dem Gemeinwohl dienende Ziele verfolgt werden wie die Bekämpfung terroristischer Straftaten, befanden die Richter. Bei dem unter die Lupe genommenen Übereinkommen würden aber zu sensible Daten weitergeleitet und bei Unverdächtigen zu lange gespeichert. Einige weitere Bestimmungen des Abkommens müssten zudem präziser gefasst werden. (anw)