Kollodium-Nassplatten-Fotografie

Selbst hergestellte Chemikalien und Platten, schwere Großformatkameras, eine Handvoll Bilder pro Tag: Das historische Kollodium- Nassplatten-Verfahren erfordert viel Geschick und Geduld. Der Porträtfotograf Thilo Nass ist den Unikaten aus den Anfängen der Fotografie trotzdem verfallen – wegen ihrer einzigartigen Bildwirkung und der maximalen Entschleunigung, die sie mit sich bringen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Peter Schuffelen
Inhaltsverzeichnis

Ein Druck auf den Auslöser, ein paar schnelle Klicks auf dem Smartphone, und schon ist das Bild in der Welt: Ein Porträt lässt sich heute in Sekundenschnelle erstellen und teilen. Zweifellos ein Fortschritt. Doch die Vorteile der digitalen Fototechnik – die echtzeitige Verfügbarkeit, die rasche, hüftschüssige Bildkomposition, die inflationäre Flut der Bilder – erzeugt bei aller Begeisterung auch Unbehagen und damit die Rückbesinnung auf die Ursprünge der Fotografie. Ein Ausdruck für diese Sehnsucht nach dem Echten, dem Haptischen, dem Ursprünglichen, zeigt sich in der Renaissance, die das Sofortbild seit einigen Jahren erlebt. Die Kollodium-Nassplatte, im Jahre 1851 vom britischen Frederick Scott Archer als kostengünstige Alternative zur Daguerreotypie erfunden, lässt sich ebenfalls als Sofortbild begreifen – ein Unikat, das sich vor den Augen des Fotografen entwickelt. Doch anders als das in den 1970er-Jahren boomende Polaroid-Sofortbild mit seiner automatisierten Entwicklung verlangt die Herstellung von Ambro- oder Ferrotypien ein umfassendes Wissen und handwerkliches Geschick. Zudem muss der Fotograf sein Labor quasi immer dabei haben, denn der Prozess funktioniert nur, solange die Platte nass ist. Trocknet sie ein, war alle Mühe vergebens. Von der Herstellung bis zur fertig entwickelten Platte bleiben dem Fotografen je nach Temperatur nur 5 bis 15 Minuten: Die Glas- oder Metallplatten werden mit einer zähflüssigen Kollodiumlösung begossen, in eine Silbernitratlösung getaucht, feucht in eine Plattenkamera eingelegt, belichtet, und anschließend sofort entwickelt, fixiert, gewässert, getrocknet und mit einem speziellen Firnis versiegelt.

Es ist dieser Zauber der allmählichen Bildwerdung, die maximale Entschleunigung bei der Plattenproduktion wie auch bei der Aufnahme selbst, die den Porträtfotografen Thilo Nass fasziniert. Vor etwa fünf Jahren entschied er sich dann, das aufwendige nasse Kollodium-Verfahren zu erlernen. „Zu Zeiten der Nassplattenverfahren wurden Fotografen als Künstler und Alchimisten wahrgenommen“, sagt Thilo, der mit Familiennamen zufälliger-, aber passenderweise Nass heißt. „Wenn ich mit meinen Porträtkunden den Prozess von der Porträtsitzung über die Vorbereitung bis zur Entwicklung der Platten in der Dunkelkammer durchlaufe, ist dieser alchimistische Zauber wieder spürbar.“ Etwa bei der Sitzung mit Rolf Nobel, ehemaliger Professor für Fotojournalismus an der Hochschule Hannover. „Nobel kam zu mir, weil er von der DGPh den Dr.-Erich-Salomon-Preis erhielt und für diesen Anlass ein außergewöhnliches Pressefoto suchte. Er war von dem Prozess wie auch vom Ergebnis begeistert und berichtete später von überschwänglichen Reaktionen seiner Studenten und der Presse.“