Das Ende der Volksparteien ist das Ende des Volks

Die Bundestagswahl hat deutlich gemacht, dass die Zeit der stabilen Regierungen zu Ende geht und der auf Optionen setzende Wechselwähler dominant wird

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Ein Erdbeben habe sich durch das Ergebnis der Bundestagswahl ergeben, so äußerten sich manche Kommentatoren nach den großen Verlusten der "Volksparteien" und dem Einzug einer rechten Partei, in der Mitglieder rechtsnationale und rassistische Standpunkte vertreten. Tatsächlich hat in den letzten Wochen der AfD genutzt, durch Tabubrüche und Provokationen auf sich aufmerksam zu machen und Nichtwähler an die Urnen zu locken.

Mit dem Einzug der AfD als drittstärkster Partei in den Bundestag rückt die Politik weiter nach rechts. Angela Merkel und Horst Seehofer haben schon klar gemacht, dass sie der AfD Wähler wieder abwerben wollen, indem sie politische Forderungen der AfD übernehmen, also Grenzsicherung, Flüchtlingspolitik und innere Sicherheit stärker zum Thema machen wollen. Ausgerechnet Seehofer, dessen CSU schon länger angesichts der Konkurrenz nach rechts gerückt ist, sagte nun, dass die CSU in Bayern eine "offene Flanke auf der rechten Seite" habe.

Obgleich die CSU trotz der Strategie, AfD-Themen hochzuspielen, eingebrochen ist, scheint man auf Weiter-so zu setzen. Der Gang nach rechts geht mit einer Blickverengung einher, neben Sicherheit, Nationalismus und Flüchtlinge bzw. Ausländer interessiert im höchst ungleichen Wohlstandsland kaum mehr etwas anderes. Linke Parteien, würde man die SPD dazu zählen, kommen gerade einmal auf 30 Prozent.

Wenn an die 90 Abgeordnete der AfD in den Bundestag kommen, kann man allerdings erwarten, dass sich die Fraktion bald selbst zerlegen und ihre Handlungsunfähigkeit demonstrieren wird. Es gibt vermutlich einfach nicht ausreichend politisch versiertes und erfahrenes Personal, um nach der außerparlamentarischen Bewegungseuphorie den politischen Alltag wirklich beeinflussen und gestalten zu können. Dabei ist die AfD auch eine Partei, die relativ wenig Anhänger hat, dafür aber viele Wähler, die die Partei nicht wegen ihrer Politik gewählt haben, sondern dies nur aus Frust wegen der anderen Parteien gemacht haben, die als zu ähnlich angesehen werden.

Die AfD-Protestwähler machen aber eines deutlich, nämlich dass in demokratischen Staaten die Existenz von Volksparteien dem Ende zugeht. Nur ein Mehrheitswahlrecht wie etwa in den USA oder in Großbritannien kann Groß- oder Volksparteien jenseits der wirklichen politischen Verhältnisse konstruieren. In Deutschland gibt es nun erstmals 6 Parteien im Bundestag.

Zwar könnten Union und SPD weiterhin knapp eine Regierungskoalition bilden, aber es ist klar, dass die Zeiten der Ein- oder Zwei-Parteien-Regierungen zu Ende geht. Das hat sich schon in vielen Ländern durchgesetzt und hat nun auch Deutschland eingeholt. Regierungskoalitionen, wenn sie überhaupt noch zustande kommen, werden mit 3 oder 4 Parteien instabiler, die Möglichkeit ist stets offen, dass während einer Legislatur die Koalition zerfällt, die Parteien werden noch abhängiger von aktuellen Stimmungen oder von Meinungsfragen, den kurzfristigen politischen Wetterberichten. Das wird den Mut, Alternativen zu entwickeln oder in die weitere Zukunft vorauszudenken, weiter schmälern und die Bereitschaft senken, unbequeme Entscheidungen zu treffen, die aber notwendig sein können, um zukunftsfähig bleiben zu können.

Das Ende der Volksparteien ist auch das Ende des imaginierten Volkes. Dessen Einheit zerfällt just in der Zeit, in der nationalistische Parteien Aufwind erfahren, die aber eher die Spaltung stärken, als eine völkische Einheit zu erwirken. Aber der Politik widerfährt nur, was trotz aller Monopolisierungstendenzen in der Wirtschaft zumindest auf der Oberfläche längst zum Alltag geworden ist. Wir sind nun auch in der Politik zunehmend konfrontiert mit einer Vielzahl von Optionen, wie wir das bei Tarifen, Lebensmitteln, Kleidern oder Maschinen kennen, die wir selbst konfigurieren können oder könnten, wenn wir dazu in der Lage wären. Pervers ist die Situation mitunter deswegen, weil den Menschen Entscheidungsmöglichkeiten oder Personalisierungen im Kleinen angeboten werden, während tiefergehende System- oder Konzernwechsel immer weniger werden.

Optionen statt Bindungen

Die neue parlamentarische Vielfalt täuscht darüber hinweg, dass es politisch keine große grundsätzliche Auswahl gibt. Dafür sind die Menschen verunsichert. Wenn sie Entscheidungshilfen wie einen Wahl-O-Mat benutzen, demonstrieren sie, dass sie selbst keine Entscheidungskompetenz mehr haben, sondern diese delegieren. Im Hintergrund, und das ist das Phänomen AfD, besteht der Wunsch, zwischen wirklichen Alternativen auswählen oder stärker durch Volksentscheide beteiligt werden zu wollen, aber keine Bindung an eine bestimmte Partei oder an ein politisches Programm zu haben.

Schnell könnten die Wähler also die AfD fallen lassen, um zur nächsten Partei überzulaufen, die etwas anderes verspricht oder einen Unterschied darstellen will. Das ist nicht anders als bei Telefontarifen oder in Beziehungen. Wenn etwas nicht passt, wird gewechselt. Es wird volatil, aber der Horizont schrumpft auf kleine, kurzfristige Themen. Es wird Zeit, über Alternativen zum System der repräsentativen Parteiendemokratie nachzudenken. Im Telepolis-Salon haben wir letzte Woche über Alternativen nachgedacht: Losen statt Wählen!