60 Jahre Sputnik: Er tweetete drei Wochen lang

Am Abend des 4. Oktober 1957 gelangte der erste künstliche Satellit in den Orbit: der sowjetische Sputnik. Seine Signale wurden in aller Welt empfangen und starteten das Raumfahrtzeitalter. Nach 1440 Erdumläufen verglühte der Satellit in der Atmosphäre.

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60 Jahre Sputnik: Er tweetete drei Wochen lang

1:1-Modell des Sputnik im National Air and Space Museum, Washington D.C.

(Bild: NASA)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Ralf Bülow
Inhaltsverzeichnis

Der Kalender zeigte den 5. Oktober 1957, als die 30 Meter hohe Rakete den Nachthimmel der Sowjetrepublik Kasachstan erhellte. Vom anonymen Startplatz aus – der Name Baikonur wurde erst 1961 benutzt – stieg die R-7 auf eine Höhe von 939 Kilometern; ihre Zentralstufe beschleunigte in knapp 5 Minuten auf mehr als 22.000 Kilometern pro Stunde. Über der Atmosphäre setzte die Stufe ihre Nutzlast aus, eine 83,6 Kilo schwere Metallkugel mit 58 Zentimetern Durchmesser. Beide Objekte drifteten auf einer Bahn, die sie alle 96 Minuten um die Erde führte.

Beim Abheben der Rakete waren es in Moskau 22:28 Uhr und Freitag, der 4. Oktober 1957. Dieses Datum ging als der Tag in die Geschichte ein, an dem der erste Erdsatellit dem irdischen Schwerefeld entfloh. Denn es war der Sputnik, zu Deutsch Gefährte, den die Zentralstufe der R-7 in den Orbit trug. Die vier Hilfsstufen hatten sich schon 116 Sekunden nach dem Start mit leeren Tanks von der Stufe gelöst. Im Kosmos machte sich der Trabant durch Pieptöne bemerkbar.

Sputnik (8 Bilder)

Sputnik-Kopie in St. Petersburg
(Bild: Andrew Butko, CC BY-SA 3.0 )

Die sowjetische Nachrichtenagentur TASS meldete den Raumfahrterfolg in derselben Nacht; früh am 5. Oktober erschien er in der Prawda. Weiter westlich gab zunächst der Rundfunk den Sputnik-Start bekannt. Dann folgten US-Zeitungen wie die New York Times. In Deutschland hörte die dpa als Erste die Signale des Satelliten: die Frequenzen 20 und 40 MHz standen in der TASS-Meldung. Am Samstag um 6:22 Uhr empfing sie ebenso der Bonner Astronom und Amateurfunker Peter Lengrüsser.

Der rote Mond kam nicht plötzlich. Am 29. Juli 1955 hatten die USA einen Satelliten für das Internationale Geophysikalische Jahr angekündigt, das von Mitte 1957 bis Ende 1958 lief. Kurz darauf deuteten sowjetische Forscher ein ähnliches Raumfahrtprojekt an. Hinter den Kulissen wirkte derweil Chefkonstrukteur Sergej Koroljow. In jahrelanger Arbeit entstand eine Großrakete, die mit Kerosin und flüssigem Sauerstoff betriebene R-7. Sie sollte primär Atombomben transportieren, ließ sich aber ebenso für zivile Zwecke nutzen.

Koroljow wollte ursprünglich einen Forschungssatelliten von mehr als einer Tonne Gewicht ins All schießen. Anfang 1957 revidierte er aber die Planung und ließ die bekannte kleine Kugel entwickeln. Sie enthielt nur ein Funkgerät und die Batterie. Im Mai begannen die Tests des R-7-Boosters. Am 21. August flog er bis zur Halbinsel Kamtschatka am Pazifik. Einige Tage später gab TASS den erfolgreichen Start einer interkontinentalen mehrstufigen ballistischen Rakete bekannt.

Am 7. September glückte ein zweiter Langstreckenflug, am 4. Oktober kam Sputnik. Auf seiner elliptischen Bahn zwischen 939 und 215 Kilometern Flughöhe absolvierte der Satellit 1440 Erdumläufe. Am 26. Oktober 1957 verstummten die Funksignale, da die Batterie erschöpft war. Am 4. Januar 1958 verglühte der Trabant beim Wiedereintritt in der Atmosphäre. Die Zentralstufe, die gleichfalls einen Satelliten darstellte, wurde in der Hochatmosphäre stärker gebremst und ging bereits am 2. Dezember verloren.

Die weltweite Reaktion auf den kosmonautischen Triumph brachte Koroljows Planung weiter durcheinander. Auf Befehl von oben konstruierte er eine Kabine für einen Vierbeiner, die in die Spitze der R-7 gesetzt wurde. Die Mission trug den Namen Sputnik 2. Die Eskimohündin Laika verendete darin wenige Stunden nach dem Start am 3. November 1957. Am 15. Mai 1958 konnte Koroljow aber den wissenschaftsorientierten Sputnik 3 platzieren.

Die Starts enthüllten ein militärisch-industrielles Potenzial, das zuvor höchstens der CIA bekannt war. Die Presse nannte den Erkenntnisgewinn den Sputnik-Schock. Möglicherweise erfand der Spiegel das Wort, belegt ist es dort am 27. November 1957. Der Schock und die Explosion der Satellitenrakete Vanguard im Dezember 1957 führten zu einer Revision der US-Technologiepolitik und zur NASA. Eine andere Folge war die Geburt der Forschungsbehörde ARPA im Pentagon, die uns später das gleichnamige Netz bescherte.

Mit dem Start des Satelliten Explorer am 31. Januar 1958 konnten die USA mit der östlichen Supermacht gleichziehen. Die Trägerrakete war, wie man weiß, das Werk der deutschen Raketenforscher um Wernher von Braun. Mit Sputnik und Explorer begann das Space Race, der Wettlauf ins All und zum Mond, den die Amerikaner 1969 durch die Landung von Apollo 11 gewannen. Danach flaute die Begeisterung für bemannte Raumflüge schnell wieder ab.

Im Moment ist die Internationale Raumstation auf ihrem erdnahen Orbit der Vorposten der Menschheit im All. Wann immer neue Astronauten zur ISS fliegen, vertrauen sie Technik aus der Sputnik-Zeit; die Sojus-Raketen sind Nachkommen der Semjorka, der guten alten R-7. Piepsen wie einst der Satellit tun sie natürlich nicht. (mho)