Harsche Kritik an grün-schwarzen Überwachungsplänen

Intelligente Videoüberwachung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung auch für Allgemeinkriminalität: Die Landesregierung Baden-Württembergs hat einen Entwurf für ein neues Polizeigesetz vorgelegt, der bei Datenschützern und Richtern auf Kritik stößt.

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Harsche Kritik an grün-schwarzen Überwachungsplänen

Polizei in Baden-Württemberg soll nach Meinung der grün-schwarzen Regierung künftig "intelligente" Videoüberwachung einsetzen dürfen.

(Bild: swr.de)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Die baden-württembergische Landesregierung will laut einem Gesetzentwurf der Polizei erlauben, künftig "intelligente" Videoüberwachung einzusetzen – es werde damit nicht intensiver eingegriffen. Dem widerspricht der baden-württembergische Landesdatenschützer Stefan Brink in einer heise online vorliegenden Stellungnahme und verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 518/02) zur Rasterfahndung: Demnach könnten automatisierte Operationen herkömmliche Verfahren mit "einer bislang unbekannten Durchschlagskraft versehen".

Die Aussage der Landesregierung, Verhaltensmuster wie etwa Bewegungsabläufe oder Gruppenbildung, würden nicht anhand personenbezogener Merkmale automatisiert ausgewertet, hält Brink für "schlichtweg nicht nachvollziehbar". Denn die Verhaltensweisen einer Person gehörten zu den persönlichen Verhältnissen einer Person – und das Erkennen von Verhaltensmustern sei ja das Ziel der intelligenten Videoüberwachung.

Brink kritisiert vor allem, dass Bürger sich nicht sicher sein können, welche ihrer Verhaltensweisen vom Algorithmus als polizeilich relevant gedeutet werden. "Schnelles Laufen, etwa an einer Haltestelle, freundschaftliches Schulterklopfen, das Unterhaken des Ehepartners oder harmlose Raufereien Jugendlicher können schnell dazu führen, dass Betroffene sich polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt sehen." Automatisch ausgewertet dürften daher nur solche Verhaltensmuster, die eine "konkrete Wahrscheinlichkeit begründen, dass es in absehbarer Zeit zu einer Straftat kommt", folgert der Datenschützer daraus. Die Polizei müsse etwa mit Hinweisen und Piktogrammen bekannt machen, welche Verhaltensweisen als relevant eingestuft werden.

Brink verlangt außerdem, intelligente Videoüberwachung nur in den vorgesehenen "räumlichen und inhaltlichen Voraussetzungen" einzusetzen – die Landesregierung sieht nämlich nur eine vorläufige Eingrenzung vor. Überdies dürfe das System nur die Geschehensabläufe übertragen und aufzeichnen, die vom System als polizeilich relevant erkannt werden.

Der baden-württembergische Richterverein kritisiert ähnlich. In seiner Stellungnahme vermerkt er, es "dürfte nicht ausreichen", dass der Verkäufer einer Software diese für "intelligent" halte, und fährt fort: "Wenn nicht der Eindruck entstehen soll, dass die aktuellen Terroraktivitäten benutzt werden sollen, polizeiliche Befugnisse insgesamt auszuweiten, sollte dringend ein Nachweis der Geeignetheit geführt werden."

Die baden-württembergische Landesregierung will zudem die Quellen-Telekommunikationsüberwachung einführen. Diese ist laut Bundesverfassungsgericht dann rechtmäßig, wenn sie ausschließlich der Terrorismusabwehr dient. Anders als das BKA-Gesetz beschränkt sich der Entwurf in Baden-Württemberg nicht darauf, weshalb Staatstrojaner auch schon bei einer Körperverletzung zum Einsatz kommen könnten. Das verstößt nach Brinks Meinung klar gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Der Datenschützer hält zudem fest, dass Betroffene über keine "hinreichende Möglichkeit" verfügten, die Abhörmaßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen. Brink weist darauf hin, dass Betroffene gegenwärtig nur ausnahmsweise benachrichtigt werden. Das müsse der Gesetzgeber ändern.

Überdies enthält der Entwurf einige weitere brisante Passagen. Unter anderem soll Spezialeinsatzkommandos der Polizei der Einsatz von Explosivmitteln wie Handgranaten erlaubt werden. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte gegenüber der Schwäbischen Zeitung bereits präventiv zugegeben: "Wir gehen an die Grenze des verfassungsmäßig Machbaren." Für Brink ist klar, dass Kretschmann dabei zweierlei riskiert: "Er überantwortet die Letztentscheidung zu sicherheitspolitischen Fragen dem Verfassungsgericht und er läuft Gefahr, Anlass und Zweck der Sicherheitsnovelle aus den Augen zu verlieren." Denn keines der neuen Sicherheitsinstrumente habe bislang seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt.

Brink fordert daher eine parlamentarische wie auch gerichtliche Evaluierung dieser Instrumente noch in der laufenden Legislaturperiode. Der Richterverein kommt ebenfalls zu dem Fazit, dass der Gesetzesentwurf Mittel aufführt, "deren Geeignetheit für die Bekämpfung dieser Bedrohungen nicht belegt ist". Er enthalte zudem "Formulierungen für die Voraussetzungen zu Überwachungsmöglichkeiten zu weitgehend oder unzureichend präzise formuliert sind." (anw)