Lobby-Bericht E-Privacy: Wie die Industrie starken Datenschutz bekämpft

Mit Cocktail-Debatten und anhaltenden Kampagnen versucht vor allem die Online-Werbewirtschaft laut der Analyse "Big Data Is Watching You" die Schutzbestimmungen in der geplanten E-Privacy-Verordnung aufzuweichen.

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Lobby-Bericht E-Privacy: Wie die Industrie starken Datenschutz bekämpft

The Whisper

(Bild: Brian Smithson, CC BY 2.0)

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Mit anhaltenden Beeinflussungsversuchen sowie nicht immer ganz sauberen Tricks, die direkt aus dem "Handbuch für Lobbyisten" stammten könnten, will die Online-Werbeindustrie im Verbund mit der allgemeinen Internet- und Medienwirtschaft den Datenschutz in der künftigen E-Privacy-Verordnung weitgehend zur Makulatur machen. Dieser Vorwurf zieht sich durch den Bericht "Big Data Is Watching You", den die Beobachtergruppe Corporate Europe Observatory (CEO) am Dienstag vor einer wichtigen Abstimmung im EU-Parlament zu der Gesetzesinitiative veröffentlicht hat.

Es sei eine der "schlimmsten Lobby-Kampagnen", die es auf europäischer Ebene bisher gegeben habe, ist laut der Analyse in Kreisen der Abgeordneten zu vernehmen. Die Taktiken der Industrie reichen demnach von der direkten Bearbeitung entscheidender Volksvertreter und Mitgliedern der EU-Kommission über koordinierte Petitionen bis hin zu elitären Podiumsdiskussionen im kleinen Kreis mit Cocktail-Empfang. Im Lauf des Jahres seien die Parlamentarier mit Positionspapieren und Änderungsanträgen sowie Wünschen nach Treffen geradezu bombardiert worden.

In der geplanten Nachfolgeregelung für die bestehende Richtlinie für den Datenschutz in der elektronischen Kommunikation geht es hauptsächlich um Fragen der Einwilligung rund um Online-Profile der Nutzer, Datensammlungen durch Cookies, technische Sicherungen per "Privacy by Design", den Umgang mit Metadaten und Verschlüsselung. Die Online-Wirtschaft will hier möglichst ungestört weiter personenbezogene Informationen über die Netzbürger sammeln und verdichten; sie sieht durch strengere Vorgaben in diesem Sektor ihr hauptsächliches Geschäftsmodell mit zielgerichteten Bannern und Co. bedroht.

Ein datenschutzfreundlicher Vorentwurf für die Verordnung pumpte laut CEO erstmals richtig Adrenalin in die unternehmerische Gegenkampagne. Einzelne Konzerne hätten rasch hinter den Kulissen Gespräche mit wichtigen Kommissionsmitarbeitern geführt, wobei etwa die Deutsche Telekom und Microsoft jeweils auf fünf gekommen seien, Google auf drei und Facebook auf zwei. Öffentliche Sprachrohre der Firmen seien aber große US-amerikanische und europäische Industrieverbände wie die Computer and Communications Industry Association (CCIA), DigitalEurope, die European Digital Media Association (EDiMA), die European Telecommunications Network Operators’ Association (ETNO) sowie Zusammenschlüsse von Presseverlagen, Werbeagenturen und Direktvermarktern.

Allein 2016 habe es zum Thema E-Privacy mindestens 41 Lobbytreffen mit den Kommissaren Andrus Ansip und Günther Oettinger oder mit deren Kabinettsmitgliedern gegeben, hat CEO herausgefunden. Davon sei es in 88 Prozent um Wirtschaftsinteressen gegangen, nur fünf Gespräche hätten mit Vertretern der Zivilgesellschaft stattgefunden. Eine Antwort der Kommission auf eine Informationsfreiheitsanfrage nach Protokollen oder anderen Details der Unterredungen stehe nach vier Monaten immer noch aus. Greifbares Ergebnis war dagegen, dass die EU-Kommission ihren offiziellen, im Januar veröffentlichten Verordnungsentwurf gegenüber dem ersten Papier verwässerte.

Seitdem habe die Industrie ihren Lobbydruck über das Jahr hinweg bisher zumindest aufrechterhalten und auf die Abgeordneten gerichtet, die derzeit ihre Linie für die künftigen Verhandlungen mit den nationalen Regierungsvertretern im EU-Rat abstimmen. Wenn die lange Debatte über die Datenschutz-Grundverordnung die bisher größte Lobbyschlacht in Technikfragen dargestellt habe, habe sich die um das E-Privacy-Dossier auf den zweiten Platz geschoben und falle durch besonders "intensive" Bemühungen der Industrie aus dem Rahmen. Allein die parlamentarische Berichterstatterin Marju Lauristin habe bisher rund 140 Treffen mit Lobbyisten aller Couleur durchgeführt, gut 800 Änderungsanträge stünden vor dem maßgeblichen Votum im federführenden Ausschuss für Bürgerrechte und Inneres am Donnerstag zur Wahl.

Nach einem Berichterstattertreffen im Frühsommer, an dem auch zahlreiche Verbands- und Unternehmensvertreter teilgenommen hätten, hätten mehrere Abgeordnete das allgemeine Klima als "aggressiv", das Verhalten der Gäste als "rau" und "unhöflich" beschrieben, heißt es in dem Bericht. Die Liberale Sophie in 't Veld betone aber, dass der Schutz der Privatsphäre ein Grundrecht sei und sämtliche Geschäftsmodelle dies zu berücksichtigen hätten. Die Leier, dass aufgrund eines Gesetzes wieder mal eine ganze Industrie krepieren könnte, sei alt und habe sich noch nie als richtig herausgestellt. Auch der Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Martin Selmayr, habe betont, ein solches "Endzeitszenario" schon zu oft gehört zu haben.

Als einen Ansatz in der Strategie einiger Industrielobbyisten machen die Verfasser den Versuch aus, die Diskussion in die Richtung zu drehen, dass nicht der Datenschutz auf dem Spiel stehe, sondern die Medienvielfalt, der Kampf gegen "Fake News" oder sogar die "Zukunft des Internets". Ferner webten die Firmeneinflüsterer Schlagworte und Phrasen wie "bessere Regulierung" und "Innovation" in ihre Eingaben an die politischen Entscheider, um diese auf ihre Seite zu ziehen.

Im Innenausschuss zeichnet sich nun ein halbgarer Kompromiss ab, befürchtet die Bürgerrechtsorganisation La Quadratur du Net. Der Verhandlungsführer der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Michal Boni, habe wachsweiche Korrekturvorschläge propagiert, die Lauristin nach ihrem starken Aufschlag im Juni nun offenbar mittrage. So solle ein weitgehendes "Tracking" der Nutzer im Netz und etwa auch in Geschäften vor Ort ohne Opt-in erlaubt werden. Nicht viel besser sieht es CEO zufolge im Ministerrat aus, der parallel an seiner Linie arbeitet: dort verträten wichtige Mitgliedsstaaten wie Deutschland industrienahe Positionen. (kbe)