RISpace: Keine Raumfahrtzukunft ohne Weltraumüberwachung

Niemand weiß, wie sich das Geschäft mit den Nano- und Mikrosatelliten entwickeln wird. Doch die Erwartungen sind immens. Genauen Regeln und Weltraumüberwachung wird eine Schlüsselrolle zukommen.

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RISpace: Keine Raumfahrtzukunft ohne Weltraumüberwachung

Die MIT-Ausgründung Accion Systems schlägt einen Elektrospray-Antrieb zur schnellen Lageveränderungn von Nano-Satelliten vor.

(Bild: MIT, Accion Systems)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Wie viele Weltraumbahnhöfe für kleine Satelliten können wirtschaftlich überleben? Die Podiumsteilnehmer, die bei der Reinventing Space Conference (RISpace) in Glasgow über aktuelle Vorhaben in dieser Richtung diskutierten, zögerten zunächst, die Frage aus dem Publikum zu beantworten. Doch dann ließ sich Odd Roger Enoksen vom norwegischen Andøya Space Center doch dazu hinreißen, eine Zahl zu nennen: Derzeit gebe es in Europa Pläne für fünf Starteinrichtungen, sagte er. "Das sind eindeutig zu viele."

Niemand weiß, wie sich das Geschäft mit den Nano- und Mikrosatelliten entwickeln wird. Doch die Erwartungen sind immens. Maria Kalama von der britischen Wirtschaftsförderungsagentur Innovate UK hatte den dritten Konferenztag mit beeindruckenden Zahlen eröffnet. Bis zum Jahr 2030 würden demnach im Bereich der Weltraumüberwachung (Space Situational Awareness) jährliche Gewinne in Höhe von etwa 10 Millionen Euro erwartet. Beim Weltraumtourismus sind es schon 200 Millionen, bei Startdiensten 454 Millionen und bei der Satellitenwartung im All 500 Millionen. Doch all das wird weit übertroffen von den Satellitenkonstellationen, die Gewinne in der Größenordnung von 30 Milliarden jährlich versprechen.

Den Löwenanteil stellen dabei Anwendungen aus der Erdbeobachtung. Die werden umso vielfältiger ausfallen, je flexibler sich die Satelliten im Orbit auf neue Aufgaben einstellen können. Ciara McGrath (University of Strathclyde) stellte eine Studie vor, bei der untersucht wurde, wie schnell Nanosatelliten mithilfe eines Elektrospray-Antriebs ihren Orbit an veränderte Anforderungen anpassen können. Dieses Antriebsverfahren wurde am Massachusetts Institute of Technology entwickelt und beruht auf einer ionisierten Flüssigkeit, die durch ein elektrisches Feld wird. Der Antrieb besteht aus etwa ein Quadratzentimeter großen, zwei Millimeter dicken Chips, die in beliebiger Zahl kombiniert werden können.

Angesichts der Müllprobleme im erdnahen Orbit schon fast anachronistisch: Die Initiative for Interstellar Studies will die Grenzen des Sonnensystems überwinden.

(Bild: Hans-Arthur Marsiske / heise online)

Für ihre Studie ging McGrath von einer Konstellation aus, die mit 90 Gramm Treibstoff für 200 Stunden einen Schub von 350 Mikronewton erzeugen kann. Die Frage war, ob sich damit die Umlaufbahnen im Fall einer Katastrophe auf der Erde schnell genug verschieben lassen, um die Überflughäufigkeit über einem bestimmten Ort zu erhöhen. An den Beispielen eines Erdbebens in Los Angeles und eines Waldbrandes in Schottland konnte McGrath zeigen, dass sich mit diesem kleinen Antrieb die Flexibilität einzelner Satelliten wie auch ganzer Konstellationen deutlich erhöhen lässt.

Während manövrierfähige Satelliten den Überblick über den Erdboden verbessern können, machen sie aber zugleich die Situation im erdnahen Orbit noch unübersichtlicher. Daher könnte der Weltraumüberwachung trotz ihrer geringen Profiterwartungen eine Schlüsselrolle zukommen. Moriba Jah (University of Texas at Austin) beklagte in einem engagierten Vortrag, dass die Annahmen über Kollisionsrisiken im All auf sehr unsicheren Daten beruhten. So würden Objekte im erdnahen Weltraum durchweg als Kugeln modelliert.

"Ein würfelförmiger Nanosatellit erscheint da in der gleichen Form wie die Internationale Raumstation", sagte er und brachte damit die Defizite der bislang gebräuchlichen Verfahren auf den Punkt. Natürlich müsse man bei der Platzierung weiterer Satelliten vorsichtig sein, räumte er in der Diskussion ein. Es sei aber auch keine Lösung, nur aufgrund von Unklarheiten jemanden daran zu hindern, im Weltraum aktiv zu werden. Regeln seien wichtig, doch sie sollten auf empirisch gesicherten Erkenntnissen beruhen.

Einen Ansatz, die Datenlage zu verbessern, stellte Ilias Theodorou (University of Strathclyde) vor. Ein in 400 km Höhe kreisender Satellit, der ein Radarsignal ausstrahlt, könnte es im Zusammenspiel mit einem Empfängersatelliten in größerer Höhe ermöglichen, Objekte im besonders stark belasteten 800-km-Orbit bis hinunter zu einem Durchmesser von fünf Zentimetern zu erkennen. Er habe bei seinen Berechnungen die Objekte als Kugeln modelliert, räumte Theodorou ein und unterstrich damit letztlich noch einmal, wie schwierig es ist, den Weltraum zu erschließen.

Ausführungen wie die von Mykhailo Kaliapin (Yuzhnoye State Design Office) zu Errichtung und Ausbau einer Mondbasis über die kommenden 50 Jahre oder der Ausstellungsstand der Initiative for Interstellar Studies konnten da schon fast anachronistisch wirken. Aber ohne diese großen Visionen hätten die Menschen wahrscheinlich noch nicht mal den erdnahen Orbit erreicht, hätten keine Probleme mit Weltraummüll – aber auch keine Satellitennavigation, deutlich weniger Telekommunikation und nur ein eingeschränktes Verständnis der globalen Ökosphäre. Die Weltraumüberwachung zu verbessern ist mühsam, dürfte sich aber als erheblicher lohnender erweisen, als es in den von Maria Kalama zitierten Profiterwartungen zum Ausdruck kommt. (jk)