Ableton Loop: Neue Behandlungsmethoden gegen Tinnitus

Musiker leiden weitaus häufiger unter dem Ohrenpfeifen als andere Menschen. Susan Rogers, ehemalige Mixerin von Prince und heute Professorin in Berklee, stellte in Berlin neue Behandlungsansätze vor, unter anderem ein Nasenspray.

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Ableton Loop: Neue Behandlungsmethoden gegen Tinnitus

(Bild: heise)

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Es sei erschreckend, wie nachlässig Menschen mit ihrem Gehör umgehen, erklärte Susan Rogers auf der Ableton-Loop-Konferenz im Funkhaus Berlin. Während viele Menschen ihre Augen mit einer Sonnenbrille schützten, würden Lärmschutz-Stöpsel für die Ohren kaum genutzt. Doch durch hohe und lange Lärmbelastung könnten Menschen eine Hyperakusis (große Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Frequenzen) oder aber einen Tinnitus (Pfeifen in den Ohren) entwickeln. In der normalen Bevölkerung seien 10 bis 20 Prozent vom Tinnitus betroffen. Bei Musikern sei es fast jeder zweite.

Trotzdem könnten Musiker häufig besser hören als Nichtmusiker. Zumindest, wenn sie ihr Gehör bereits von kleinauf trainieren, etwa vor dem 14 Lebensjahr für mindestens fünf Jahre ein Instrument spielen. Dadurch würde das Gehör trainiert und das Gehirn mehr neuronale Verbindungen erzeugen. Musiker könnten dadurch Details besser auflösen und beispielsweise einem Gespräch bei Hintergrundlärm besser folgen.

Bei einer langanhaltenden zu hohen Lärmbelastung würden jedoch die Nervenzellen platzen, die Impulse durch die kleinen Härchen im Innenohr erzeugen. Die Folge wäre nicht, dass der Betroffene leise Geräusche nicht mehr hören kann, sondern dass das Auflösungsvermögen zurückgeht. "Das Ohr funktioniert wie ein biologischer A/D-Wandler. Wenn die Zellen platzen, dann reduziert sich seine Auflösung. Das ist wie bei einem Interface, das nur noch mit 4 Bit statt mit 24 Bit wandelt", erklärte Rogers. In der Folge würde das Gehirn versuchen, die geringere Auflösung durch eine größere Verstärkung der Signale zu kompensieren. Wie bei einem übersteuerten Verstärker käme es dabei zum Signal-Clipping. "Deshalb muss man mit Schwerhörigen auch nicht lauter sprechen, sondern deutlicher artikulieren."

Eine besondere Erkenntnis sei für Rogers gewesen, dass die Schwerhörigkeit nicht in den Frequenzen auftritt, denen man bei lautem Lärm ausgesetzt wird, sondern vor allem in höheren Frequenzen, selbst wenn hier keine laute Belastung vorlag. Tinnitus und Hyperakusis würden aber leider von vielen Ohrenärzten nicht richtig diagnostiziert, weil sie bei der Untersuchung mit leisen Sinustönen arbeiten, die die Betroffenen aber weiterhin gut hören könnten. Genauere Ergebnisse liefere die Messung von Gehirnströmen bei der Auditory Brain Stem Response (ABR).

Bei der Hyperakusis reagieren Menschen auf bestimmte Frequenzen überempfindlich, beim Tinnitus treten sehr hohe Töne auf, die die Betroffenen vor allem in ruhigen Umgebungen hören. Ursache sei die zu große Verstärkung der Signale im Gehirn. Gängige Methoden zielen deshalb darauf ab, das Frequenzverstärkungen des Gehirns auf andere Frequenzen zu verlagern. "Das kann man entweder breitbandig mit Rauschen machen oder aber mit Sinustönen, die knapp neben der Tinnitusfrequenz liegen." Wenn man diese jeden Tag eine halbe Stunde höre, würde das Gehirn seine neuronalen Verstärker auf die neuen Frequenzen umgruppieren, wodurch das Pfeifen oder die Überempfindlichkeiten reduziert würden. Stress habe ebenfalls einen großen Einfluss auf die Tinnitusstärke.

Doch neben diesen bekannten Methoden gibt es inzwischen neue Ansätze in der Forschung. Dazu zitierte Rogers aus einer just im September veröffentlichten brasilianischen Pilotstudie von Andreia Aparecida Azevedo, wonach der Tinnitus durch die Verabreichung von Oxytocin Nasenspray über einen Zeitraum von 10 Wochen signifikant gesenkt werden konnte. Oxytozin sei ein natürliches Hormon, das beispielsweise Frauen während der Geburt eines Kindes produzieren, und das zur Muskelentspannung dient. Allerdings werde es noch einige Zeit dauern, bis die Ergebnisse geprüft und die Behandlungsmethode zugelassen werde. Darüber hinaus experimentiere man mit Stammzellen, die vielleicht eines Tages die geplatzten Hörnervenzellen ersetzen könnten.

Insgesamt stehe die Forschung nach Behandlungsmethoden für den Tinnitus aber leider noch am Anfang. Susan Rogers ist Professorin am College in Berklee, wo sie sich mit der Wahrnehmung von Musik und Psychoakustik beschäftigt. Bevor die promovierte Psychologin in den Bereich der Wissenschaft wechselte, war sie eine äußerst erfolgreiche Produzentin, die von 1983 bis 1988 als feste Ton-Ingenieurin mit dem verstorbenen Popstar Prince zusammenarbeitete, unter anderem für die Alben "Purple Rain" und "Sign of the Times". In ihren Vorträgen schlägt sie deshalb immer wieder eine Brücke zwischen der medizinischen und psychologischen Forschung und den konkreten Produktionsbedingungen in der Musikbranche. (hag)