Donald E. Knuth: Der Informatik-Papst wird 80

In den 60er-Jahren begann Donald E. Knuth ein Standardwerk der Informatik zu schreiben: The Art of Computer Programming. Das dauerte "etwas" länger als angenommen: Jetzt wird er 80 und schreibt noch immer.

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Donald E. Knuth

(Bild: vonguard (Titel: "Donald Knuth"), CC BY-SA 2.0)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Dr. Harald Bögeholz
Inhaltsverzeichnis

Wie viele Doktorhüte passen auf einen einzigen Kopf? Bei Donald E. Knuth sind es bisher 35: Sein Doktor der Mathematik vom California Institute of Technology im Juni 1963 und 34 Ehrendoktortitel von Universitäten rund um die Welt. Dass Knuth ein Ausnahme-Akademiker werden würde, zeichnete sich vielleicht schon ab, als er für seine herausragende Bachelor-Arbeit 1960 – im Alter von 22 Jahren – den Master-Titel gleich mit verliehen bekam und direkt zur Promotion schritt.

Wer heute irgendwas Mathematisch-Naturwissenschaftliches veröffentlichen möchte, kommt an Knuths Schriftsatzsystem TeX kaum vorbei. 40 Jahre nach seiner Entstehung ist es immer noch die Software für schönsten Formelsatz und das Standardformat für viele wissenschaftliche Zeitschriften und Konferenzen. Entwickelt hat er es sozusagen aus der Not heraus, weil er mit der Qualität des damaligen Schriftsatzes für The Art of Computer Programming nicht zufrieden war.

Hier entsteht The Art of Computer Programming.

(Bild: Jill Knuth)

The Art of Computer Programming (TAOCP), das ist heute die Bibel der Informatik, einer Disziplin, die Knuth maßgeblich mitbegründet hat. Das Werk befasst sich systematisch mit allen Arten von Algorithmen und der Analyse ihrer Effizienz.

Als Knuth in den 60er-Jahren damit begann, dachte er noch, es würde ein einziges Buch. Aber als er sich mit seinem 3000 handgeschriebene Seiten langen ersten Entwurf an den Verleger wandte, sah es recht schnell nach eher vier Büchern aus. Drei davon schaffte er in seiner Zeit als Professor in Stanford in mehreren Auflagen, danach musste er in den Ruhestand treten, um sich ganz TAOCP widmen zu können.

Inzwischen war das Gebiet der Informatik förmlich explodiert, und so wurden aus Band vier die Teilbände 4A, 4B, 4C und 4D, von denen 4A erschienen ist und andere bereits fertige Teile als "Betatest" in Taschenbuchform veröffentlicht werden.

Das Besondere an TAOCP ist seine erschöpfende Tiefe. Knuth hat den Anspruch, alles zu berücksichtigen, was zu einem Thema bekannt ist, und er legt außerdem Wert auf die historische Entwicklung. Damit dies den Leser nicht allzu sehr erschöpft, erzählt er nur das Wesentliche der Geschichte im Haupttext und lagert einen guten Teil in Übungsaufgaben aus. Mitdenken ist also gefragt und erwünscht, aber wer dazu keine Zeit zu haben glaubt, findet zu allen Aufgaben auch Lösungen im Buch. Bei Band 4A kommen zu 500 Seiten Haupttext einschließlich Übungsaufgaben noch einmal 300 Seiten mit Lösungen – für manchen ist es ein Lebensziel, TAOCP auch nur einmal durchzuarbeiten!

Und das sind beileibe nicht die einzigen Bücher: Daneben gibt es noch TeX und die digitale Typographie, surreale Zahlen, eine Bibel-Interpretation (!), die von ihm erfundene Prozessorarchitektur MMIX ... Knuths Produktivität ist einfach atemberaubend, ganz zu schweigen von den über 160 begutachteten wissenschaftlichen Papers und über 250 sonstigen Veröffentlichungen von ihm oder über ihn.

Bei all dem ist Knuth ein absoluter Perfektionist und zahlt für jeden Fehler, den jemand in einem seiner Bücher findet, einen hexadezimalen Dollar Finderlohn.

Knuth im April 2017 beim March For Science in San Francisco mit einer Anspielung auf den legasthenischen US-Präsidenten: Good Algorithms are Yuge!

(Bild: Jill Knuth)

Am heutigen 10. Januar feiert Knuth seinen 80. Geburtstag. Aus diesem besonderen Anlass findet bereits seit dem 8. Januar im schwedischen Piteå das Symposium Knuth80: Algorithms, Combinatorics, and Information mit circa 175 Teilnehmern statt. Nach zweieinhalb Tagen mit Vorträgen über Informatik und rund um Knuth steht als Höhepunkt die Uraufführung des von Knuth komponierten multimedialen Orgelwerks Fantasia Apocalyptica auf dem Programm.

Komponieren kann er also auch noch? Orgel spielt er jedenfalls schon lange, und bereits in den 70ern erfüllte er sich den Traum von einer Pfeifenorgel im eigenen Haus. Die Idee zu einer eigenen Kompositon trug er schon jahrzehntelang mit sich herum, bis er 2011 den Beschluss fasste, tatsächlich anzufangen.

Er wäre nicht Knuth, wenn er nicht erst einmal eine Hand voll Bücher über Komposition gelesen hätte, um sich dann sehr systematisch daran zu machen, eine "einigermaßen wörtliche" Übersetzung der Offenbarung des Johannes in Orgelmusik zu komponieren. Dazu identifizierte er im Text 150 Hauptmotive und ordnete jedem ein musikalisches Motiv zu, eine Melodie, einen Rhythmus, einen Akkord oder einen besonderen Orgel-Effekt.

Auf seiner Webseite mit der Entstehungsgeschichte der Fantasia Apocalyptica dokumentiert er haarklein all diese Motive und wo sie verwendet wurden, außerdem alle anderen Musikstücke, die ihn inspiriert haben. So komponiert ein echter Akademiker: jeder fremde musikalische Gedanke minutiös im "Literaturverzeichnis" dokumentiert.

Für die Uraufführung konnte Knuth den kanadischen Organisten Jan Overduin gewinnen. Die Musik ist gemeinfrei (Creative Commons CC0), parallel dazu laufen noch vier verschiedene Videos. Eine Aufzeichnung soll später auf YouTube veröffentlicht werden.

Notizpapier mit Dreiecksgitter statt Karos soll die Entdeckung neuer mathematischer Ideen fördern.

(Bild: Jill Knuth)

Knuth schreibt, dass er sich beim Komponieren manchmal wie ein Medium gefühlt habe, das die bereits vorhandene Musik nur zu hören und aufzuschreiben braucht. Das erinnert an seine damals im c't-Interview geäußerte Auffassung über die Mathematik, nämlich dass diese im Prinzip schon da ist und von Menschen nur entdeckt zu werden braucht.

Und deshalb bekam jeder Teilnehmer des Knuth80-Symposiums einen Schreibblock mit Dreieckspapier. Denn Karopapier gibt es schon genug auf dieser Welt – Knuth sagte in seiner Weihnachtsvorlesung 2017: "Ich habe das Gefühl, dass alle mögliche Mathematik nur deshalb noch nicht entdeckt wurde, weil niemand den Leuten Dreieckspapier gegeben hat." Dann können die neuen Ideen ja jetzt kommen. (bo)