Zahlen, bitte! 20 Minuten für ein knochiges Selfie

Heute vor 122 Jahren hielt Conrad Wilhelm Röntgen einen öffentlichen Vortrag, bei dem er die von ihm entdeckten "X-Strahlen" demonstrierte und zum Abschluss die Hand von Albert von Koelliker 20 Minuten lang vor einer Fotoplatte bestrahlte.

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Zahlen, bitte! 20 Minuten
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Volker Zota
Inhaltsverzeichnis

Der Physiker Conrad Wilhelm Röntgen hatte die X-Strahlen bei einem Experiment am 8. November 1895 entdeckt und dann 6 Wochen lang systematisch erforscht. Anschließend veröffentlichte er mit der Schrift "Über eine neue Art von Strahlen" die Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse. In seinem Vortrag am 23. Januar 1896 zeigte Röntgen, wie die Strahlen aus einer vollständig abgedunkelten Kathodenstrahlröhre im Unterschied zum Licht und UV-Licht entweichen und nachgewiesen werden können, wenn man eine hohe Spannung anlegt.

Albert von Köllikers Hand musste für die erste Röntgenaufnahme herhalten.

Abschließend bestrahlte Röntgen 20 Minuten lang eine Hand vor einer Fotoplatte. Sie gehörte Albert von Koelliker, damals Leiter der medizinischen Fakultät der Universität Würzburg. So konnte Röntgen zeigen, das bestimmte Elemente wie Calcium entsprechend ihrer Ordnungszahl (Calcium=20) strahlungsdichter sind als andere. Anders gesagt und von allen Zeitgenossen fasziniert studiert: von Koellikers Handknochen waren auf dem Röntgenbild deutlich sichtbar. Der Mediziner schlug unter Beifall vor, die entdeckten Strahlen Röntgenstrahlen zu nennen. Mit diesen Röntgenstrahlen und den wenig später von Becquerel entdeckten "Uranstrahlen" und der Radioaktivität entwickelte sich die Physik zur Leitwissenschaft des 20. Jahrhunderts.

Für seine Entdeckung erhielt Röntgen 1901 den damals erstmalig vergebenen Nobelpreis für Physik. Röntgen war nicht der erste, der bei einem Experiment am 8. November 1895 zufällig eine fluoreszierende Strahlung bemerkte, aber derjenige, der sich sofort daran machte, die Strahlen systematisch zu erforschen. Er experimentierte sechs Wochen lang mit zahlreichen Stoffen, um die Eigenschaften der X-Strahlen zu bestimmen. Was konnten sie durchdringen, was konnte sie beeinflussen? All dies notierte er in seiner Schrift über die neue Art von Strahlen.

Seine Aufzeichnungen über die Experimente mit der Kathodenstrahlröhre führten dazu, dass der Glasbläser Carl Heinrich Florenz Müller in Hamburg bereits im Februar 1896 mit der Produktion von Röntgenröhren begann und den Grundstein zu einer der größten Röhrenfabriken der Welt legte. Dies war möglich, weil Röntgen als wohlhabender Forscher auf die sonst übliche Patentierung seiner Forschung verzichtete.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

So wurde die Bestrahlungstechnik "Open Source" im wildesten Sinne, weitab von der medizinischen Diagnostik der Radiologie, die Koelliker und seine Kollegen sofort ins Auge fassten. Röntgenbilder wurden auf Jahrmärkten angeboten, es gab Röntgenpartys, auf denen man sich gegenseitig skelettierte. Die schädigende Wirkung der ionisierenden Strahlung wurde erst nach dem ersten Weltkrieg erkannt, in dem die Röntgentechnik in den Lazaretten auf breiter Front zum Einsatz kam.

Wenige warnten vor dem "Blick in den Menschen" und seinen Folgen. Nach dem Krieg schrieb Erich Friedell über die Entdeckungen von Röntgen, Curie und Becquerel: "Statt dessen ist alles viel schlimmer geworden, und Europa zerfällt in kapitalistische Staaten, in denen die meisten Bettler sind, und in Sowjetstaaten, in denen alle Bettler sind. Nein: durch die »Aktivierung des Atoms« würden bloß die Oberen noch gieriger, die Unteren noch ärmer, also beide noch hungriger werden und die Kriege noch bestialischer..."

Röntgenstrahlen sind elektromagnetische Wellen, die entstehen, wenn Elektronen beim Zusammenstoß mit Atomen abgebremst werden. Zur Zeit der Entdeckung dieser Strahlen war das Atommodell noch nicht entwickelt worden, sodass Röntgen selbst nur spekulieren konnte.

Erst später konnten die Physiker die Existenz von zwei Arten der Röntgenstrahlen feststellen, die Bremsstrahlung der Elektronen beim Aufprall auf einem Atomgitter und die charakteristische Strahlung, die entsteht, wenn ein Elektron in das Loch "hineinspringt", das das herausgesprengte Elektron hinterlässt. Der Nachweis der Wellenbewegung gelang erst Max von Laue, der dafür 1914 den Physik-Nobelpreis erhielt. Rund 40 weitere Nobelpreise wurden im Umfeld der Entdeckung von Conrad Wilhelm Röntgen vergeben.

Heute ist die digitale Röntgentechnik zum Standard geworden und um die Röntgentomographie und die Computertomographie erweitert worden. Das Verfahren der Bestrahlung mit einer Röntgenröhre, das Röntgen vor 122 Jahren demonstrierte, gehört heute zu den Hoffnungsträgern in der Halbleitertechnik, die Mikroelektronik über den Technologieknoten von 22 Nanometern hinaus mit der gerade vorgestellten 10-nm-Technik verfeinern zu können. Noch steht die extrem teure Röntgenlithografie im Schatten der EUV-Lithografie (extreme ultra violet), doch gilt sie als aussichtsreicher Kandidat, die Lebensdauer des Mooreschen "Gesetzes" zu verlängern.

Dort, wo Conrad Wilhelm Röntgen vor 122 Jahren über seine Entdeckung sprach, befindet sich heute eine historische Gedächtnisstätte. Erwähnenswert ist auch das Deutsche Röntgenmuseum in Remscheid-Lennep, wo Röntgen geboren wurde. Dank CHF Müller war das Hamburger Klinikum Eppendorf das erste radiologische Forschungszentrum. Hier befindet sich auch ein Denkmal für 159 Ärzte, Schwestern und Pfleger, die durch die Röntgenstrahlen ums Leben kamen, denn die Dosis war in frühen Jahren sehr hoch und ist inzwischen um einen Faktor 1500 gesunken. (vza)