Gesunde Gentechnik?

Per Gen-Editing entwickeln Biotech-Firmen neue Pflanzen-Sorten, die gesünder und nahrhafter sein sollen. Dieses Jahr könnten die ersten Lebensmittel daraus auf dem Teller landen.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Antonio Regalado
  • Inge Wünnenberg

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft 3/2018 ist ab 22.2.2018 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Zum ersten Mal hörte Jason McHenry Ende 2016 von der neuen Sojabohnen-Sorte. „Wir haben hier etwas Spannendes“, führte sie Thomas Stoddard vom Biotech-Start-up Calyxt etwas geheimnisvoll ein. Bei den Farmern der Sojabohnen-Kooperative von South Dakota warb der Firmenvertreter für eine neue, durch Gen-Editing erzeugte Sorte: Im Erbmaterial der Pflanzen sind zwei Gene verändert, die bei der Fettsäure-Synthese eine Rolle spielen. Das aus diesen Bohnen gepresste Öl lässt sich dadurch einfacher verwerten und ähnelt eher Oliven- als normalem Sojaöl. Bei der Verarbeitung, etwa zu Backfett, entstehen damit weniger ungesunde Transfettsäuren.

Für die Landwirte ist das attraktiv, weil die US-Regierung Transfettsäuren in Nahrungsmitteln verboten und Sojaöl als Folge Marktanteile verloren hatte. Jeder Farmer, der die neuen Bohnen anpflanze, warb Stoddard, würde dazu beitragen, gesündere Nahrung in die Supermarktregale zu bringen. Zugleich lockte er die Produzenten mit höheren Einnahmen.

Für McHenry, der gerade begann, sein eigenes Land zu bestellen, klang das überzeugend. Die Sojabohnenernte in den USA beträgt rund 110 Millionen Tonnen im Jahr. Für die Farmer ist sie die drittwichtigste Einnahmequelle nach Rindern und Mais. Zwar sind heute schon mehr als 90 Prozent der angebauten Bohnen genetisch verändert, um sie gegen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat immun zu machen. Doch in den Treibhäusern von Calyxt in der Nähe von Minneapolis wächst eine völlig neue Generation heran: Wie die Gene verändert wurden, lässt sich nicht nachweisen, zumal kein artfremdes Erbgut mehr eingeführt wird. Behörden wie das amerikanische Agrarministerium USDA halten die auf diesem Weg erzeugten Pflanzen deshalb auch nicht für genehmigungspflichtig. Damit stößt die pflanzliche Gentechnik allerdings in eine neue Dimension vor, sehr zum Missfallen vieler Umweltschützer.

Ausgelöst hat die Auseinandersetzung das Gen-Editing, auch Genchirurgie genannt. Mit dieser neuen Technik lassen sich Sorten designen, die keine fremde DNA in sich tragen. Das gezielte Einfügen oder Entfernen von kleinen Schnipseln mit genetischen Informationen bewirkt ähnliche Ergebnisse wie die konventionelle Zucht, aber in sehr viel kürzerer Zeit. Für viele Wissenschaftler ist das Potenzial des Gen-Editing daher fast grenzenlos. Sie betrachten die Methode als Abkürzung zu Pflanzen, die Dürren überstehen, immun gegen Krankheiten sind oder besser schmecken. Für ihre Befürworter ist Gen-Editing damit lediglich eine „beschleunigte Zuchtmethode“.

Bei dem neuen Gentechnik-Verfahren greifen aber die Regulierungsmechanismen des US-Agrarministeriums für genetisch veränderte Organismen (GMO) nicht mehr. Denn der 30 Jahre alten Definition zufolge sind dies nur solche Pflanzen, die mithilfe fremder DNA modifiziert wurden. Genau das aber ist bei den Sorten von Calyxt nicht der Fall. Die Biotech-Firma kann ihre Bohnen also ohne aufwendige Genehmigungen, Überprüfungen und Sicherheitstests auf den Markt bringen.

Andere Länder haben ebenfalls entschieden, dass es sich bei den neuen Pflanzen nicht um GMOs handelt, darunter Neuseeland sowie einige Länder der Europäischen Union, zum Beispiel Deutschland. Beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist allerdings derzeit ein Verfahren anhängig, das endgültige Klärung bringen soll, ob die mit den neuen Gen-Editing-Verfahren erzeugten Züchtungen als GMOs klassifiziert werden. Generalanwalt Michal Bobek hat sich bereits der vielerorts herrschenden Argumentation angeschlossen, dass es sich nur dann um GMOs handele, wenn das genetische Material derart verändert worden sei, wie es auf natürliche Weise nicht möglich wäre. Das Urteil des EuGH wird zwar erst im Laufe des Jahres erwartet, aber in der Regel folgt das oberste EU-Gericht der Einschätzung des Generalanwalts.

GMO-Gegner sehen darin ein Alarmzeichen. „Hier wird eine Definition von GMO konstruiert“, sagt Jim Thomas, Leiter der gemeinnützigen ETC Group, die sich für Umweltthemen einsetzt. In der Vergangenheit warnten Kritiker insbesondere davor, dass artfremdes Material die Umwelt schädigen könnte. Dem halten Befürworter nun entgegen, dass Unternehmen wie Calyxt keine fremde DNA mehr in die Pflanzen einführen. Trotzdem bleiben bei diesem beschleunigten Zulassungsverfahren Informationen über die Umweltverträglichkeit der neuen Sorten auf der Strecke. Ist tatsächlich kein schädlicher Einfluss auf Insekten messbar? Geben sie ihre genetischen Veränderungen an wilde Verwandte weiter – und wenn ja, was bedeutet das?

Die Debatte dürfte an Schärfe zunehmen, denn 2018 könnte zu einem entscheidenden Jahr für die Genchirurgie in der Landwirtschaft werden. Die Anwendung im großen Maßstab steht bevor. Calyxt will noch in diesem Jahr das Öl aus seinen Bohnen auf den Markt bringen. Es soll zum Frittieren von Donuts und Chips eingesetzt werden. Mit DuPont steht mindestens ein weiterer Anbieter in den Startlöchern. Der US-Konzern will Mais mit einem höheren Stärkegehalt in den Verkehr bringen, das Endprodukt soll in Klebestiften und als Emulgator in Salatdressings landen. Insgesamt wurden im vorigen Jahr vier weitere geneditierte Pflanzen vom Landwirtschaftsministerium durchgewinkt: eine von den Beamten selbst entwickelte salz- und dürretolerante Sojabohne, eine von Yield10 entworfene Leindotter-Art, eine Hirse-Spezies mit verzögerter Blüte – und zu guter Letzt eine Alfalfa-Pflanze von Calyxt, die weniger Lignin enthält, was sie für Kühe und Pferde leichter verdaulich macht.

Dan Voytas, Calyxt-Mitgründer und Genetik-Professor an der University of Minnesota, gehörte Ende der 1990er-Jahre zu einer kleinen Gruppe von Biologen, die an der nächsten Generation genetisch veränderter Pflanzen arbeitete. Sie wollten keine ganzen Gene mehr hinzufügen. Stattdessen nutzten die Forscher Schneide-Enzyme – sogenannte Nukleasen –, um die DNA-Kette mit den Erbinformationen präzise zu durchtrennen.

(inwu)