Kommentar zu Spectre und Meltdown: Zeigen wir Monopolisten den Mittelfinger

Spectre und Meltdown haben wieder einmal deutlich gemacht, wie schmerzhaft die technische Abhängigkeit von wenigen Anbietern sein kann. Es wird Zeit, die deutsche Bequemlichkeit abzustreifen, findet Oliver Bartels.

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Meltdown und Spectre: Intel zieht Microcode-Updates für Prozessoren zurück
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Oliver Bartels

Kurz nach dem Bekanntwerden des Spectre- und Meltdown-Desasters waren Verbände und Politik schnell mit Wortmeldungen zur Stelle: Von einem "Weckruf" für den Standort Deutschland sprach der VDE, Innenminister Thomas de Maizière (CDU) stellte die Bedeutung eigener Entwicklungen etwa bei der Chiptechnik heraus. Ob sich mit der kommenden Regierung die Politik der Bequemlichkeit in der Entwicklung neuer Technik ändert?

Ein Kommentar von Oliver Bartels

Oliver Bartels ist Inhaber einer Entwicklungsfirma in München für Hochfrequenztechnik, Signalverarbeitung und Sportinformatik. Als Erfinder hält er mehr als 20 Patente, angefangen von Prozessordesigns über Automobilsensorik und Funkortung bis hin zu Echtzeitspektrumanalysatoren.

Nötig wäre es jedenfalls. Spectre hat viele Prozessorarchitekturen betroffen, das viel kritischere Meltdown-Problem primär eine – allerdings eine, von der wir alle sehr abhängig sind. Und diese Abhängigkeit lässt uns der Anbieter dieser einen Prozessorarchitektur stark spüren. Es braucht technische Alternativen – und zwar von hier. Es muss Schluss sein mit der Anspruchshaltung, dass IT grundsätzlich von anderen entwickelt wird, während man selber bequem über soziale Auswirkungen philosophiert. Um es mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zu sagen: "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“

Dabei sind es eben nicht die Konzerne, die innovativ sind – Erfindungen stammen immer von einzelnen Menschen. Deutschland muss das Potenzial dieser Menschen heben, wenn es weiter in der Lage sein will, sich die Errungenschaften unserer Gesellschaft leisten zu können. Was wir dazu von Google lernen können: Spielräume schaffen. Hier hatten ein paar Leute die sehr gute Idee der Page Rank Matrix für Websites. Klingt kompliziert, ist aber unglaublich praktisch – und hat Googles Vormachtstellung in der Online-Werbung zementiert.

Deshalb sollte auch der Staat unbürokratisch Erfindungen und Entwicklungen fördern, statt sie hart zu besteuern. Zum Beispiel an den Universitäten, damit jeder Student der Elektrotechnik selbst einen echten Chip entwickeln kann, mit Geld für die MPW-Fertigung. Und wenn sie die in den Sand setzen: na und? Irgendwo wird trotzdem der künftige Weltstandard in Sachen KI-Chips dabei sein.

Ferner muss der Staat den Wettbewerb schützen, ebenso junge wie etablierte Unternehmen vor finanziellen Angriffen. Dazu zählt, dass hier ein Chiphersteller nicht mal eben mit Monopolygeld übernommen werden kann und dass juristische Tricksereien im Patent- und Urheberrecht unterbunden werden. Das Patentamt und das Kartellamt brauchen mehr Personal, um das Nützliche vom Schrott zu trennen.

Der Anreiz zu Entwicklungen ist da, wenn die Gesellschaft den jungen Entwicklern ehrliche Anerkennung zollt, so wie auch Sportstars im Wettbewerb. Wenn sie zudem sehen, dass sie gefördert werden und sie Erfolg haben können, dann werden sie sich bis um Mitternacht reinhängen, um uns alle unabhängig von der Nötigung durch Technik zu machen. Motivation = Motiv × Anreiz × Erwartung.

Wir Anwender sollten mehr Verständnis dafür aufbringen, wenn bei einem jungen Produkt nicht alles geschenkt und nicht jedes Feature da ist. Vielleicht ist es trotzdem cool, wird bald ein Quantensprung gegenüber allem Dagewesenen sein und für richtig viel Wettbewerb sorgen. Dann zeigen wir dem nächsten Monopolisten, der uns alle abhängig machen will, den gestreckten Mittelfinger. (axk)