Zahlen, bitte! Das Neutron - kurzlebiger Wegbereiter der Kernspaltung

Außer im Wasserstoff ist es Bestandteil jedes Atomkerns, allein überlebt es aber nur 880 Sekunden: das Neutron. Die Entdeckung des unscheinbaren Teilchens ebnete den Weg für die Kernspaltung und leider auch die Atombombe.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 125 Kommentare lesen
Zahlen, bitte! Das Neutron - instabiler Wegbereiter für die Atombombe
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Volker Zota
Inhaltsverzeichnis

Am 27. Februar 1932 veröffentlichte die Zeitschrift Nature einen Brief von James Chadwick, in dem er den Nachweis des Neutrons beschreibt: ein elektrisch neutrales Elementarteilchen mit (praktisch) derselben Masse wie das Proton. Drei Jahre später erhielt Chadwick für den experimentellen Nachweis des Neutrons den Physik-Nobelpreis.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Ausgangspunkt für Chadwicks Überlegungen waren Experimente des Ehepaars Irène Joliot-Curie und Frédéric Joliot-Curie, die Beryllium mit Alphastrahlung (Heliumkerne aus Polonium) beschossen und feststellten, dass die resultierende Strahlung ladungsfrei war, aber Protonen aus Paraffin herausschlagen konnte. Für Chadwick war klar, dass es sich um ein neutrales Teilchen vom ungefähren Gewicht des Protons handeln musste.

Tatsächlich hatte schon Ernest Rutherford 1920 einen neutralen Teil in Atomkernen vorausgesagt, den er als "kollabierten Wasserstoff" (als eine ladungsneutrale Kombination aus Proton und Elektron) bezeichnete. Damit lag er gar nicht so falsch, wie sich später herausstellte. Der Name Neutron wurde im Folgejahr durch William Draper Harkins in Anlehnung an das positiv geladene Proton geprägt.

Chadwicks Nachweis des Neutrons bildete die Grundlage für Otto Hahns Entdeckung der durch Neutroneneinfang induzierten Kernspaltung, künstlich erzeugten nuklearen Kettenreaktionen und leider auch der Atombombe.

Chadwick war 1940 Mitglied der britischen MAUD-Kommission (Military Application of Uranium Detonation), die die Möglichkeit der Entwicklung einer Atombombe prüfte. Ab 1943 arbeiteten die USA und Großbritannien gemeinsam daran. Chadwick war auch ein wichtiger Protagonist im Manhattan-Projekt, das schließlich zum Bau der ersten Atombombe führte. Auch hier spielten Neutronen die entscheidende Rolle: Der Einfang eines Neutrons überführt den betroffenen Uran-Kern in einen hochangeregten energetischen Zustand, der zur Aufspaltung in zwei leichtere Elemente führt, wobei gleichzeitig enorm viel Energie freigesetzt wird und weitere Neutronen entstehen, die zur Kettenreaktion mit weiteren Uran-Kernen führen.

Nach dem Krieg wurde Chadwick für seine Leistungen als Physiker zum Ritter (Knight Bachelor) geschlagen.

Die Zeitschrift Nature veröffentlichte am 27. Februar James Chadwicks Vermutung.

(Bild: Nature, Volume 129, Seite 312 (27. Feburar 1932))

In Atomkernen gebundene Neutronen sind stabil, doch Nuklide mit relativ großem Neutronenüberschuss (deutlich mehr Neutronen als Protonen) sind radioaktiv und zerfallen, indem sich ein Neutron in ein Proton, ein Elektron und ein Elektronen-Antineutrino umwandelt – Betastrahlung genannt. Das Proton verbleibt im Kern, sodass die Massenzahl des Atoms erhalten bleibt, die Ladungszahl des Kerns aber um 1 wächst; so wird beispielsweise aus dem Mutter-Nuklid 146C das Tochter-Nuklid 147N.

Während freie Protonen eine Lebensdauer von 1034 Jahren haben, sind ungebundene/freie Neutronen radioaktiv und zerfallen nach ungefähr 15 Minuten nach dem Betastrahlungsmechanismus. Tatsächlich lässt sich die Lebensdauer freier Neutronen derzeit nicht exakt bestimmten. Sie beträgt zwischen 880 und 888 Sekunden, je nach Messmethode ("Bottle" oder "Beam"). Diese Abweichung stellt die Physiker weiterhin vor ein Rätsel, das als Neutron Lifetime Puzzle" bekannt ist.

Schließlich erfüllt das Neutron noch die Träume der Alchemisten: Wird das radioaktive Quecksilber 196Hg mit langsamen Neutronen bestrahlt, fängt der Kern es zunächst ein und schnappt sich in der Folge ein Elektron, sodass über den radioaktiven Zerfall des zwischenzeitlich entstehenden 197Hg innerhalb von gut 64 Stunden Halbwertszeit das stabile Gold 197Au entsteht. (vza)