Treib- und Explosivstoffe – Die Körnung macht den Knall

Auf dem Forum Angewandte Forschung für Verteidigung und Sicherheit in Deutschland der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik ging es um den Stand und die künftige Entwicklung der Explosivstoffe.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 40 Kommentare lesen
Treib- und Explosivstoffe – Die Körnung macht den Knall

ADN-Partikel

(Bild: heise online / Hans-Arthur Marsiske)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Es ist fast 650 Jahre her, dass Berthold Schwarz bei seinen Experimenten mit Kanonen und Schießpulver entdeckte, dass eine gröbere Körnung des Pulvers stärkere Wirkung hatte als das bis dahin gebräuchliche mehlige Pulver. Ob der legendäre Chemiker geahnt hat, dass er damit eine jahrhundertelange Forschungstradition begründete? Aus mehreren Präsentationen zu "Energetischen Materialien" auf dem Forum Angewandte Forschung für Verteidigung und Sicherheit in Deutschland der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) in Bonn war jedenfalls zu erfahren, dass es bei Explosivstoffen auch heute noch auf die richtige Körnung ankommt.

Im Modell sieht einer der derzeit stärksten chemischen Sprengstoffe ziemlich harmlos aus…

(Bild: heise online / Hans-Arthur Marsiske)

Geändert haben sich allerdings Terminologie und Methoden, mit denen sich Forscher dem Problem nähern. So referierte Dirk Hermannsdörfer vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologien (ICT) über die Cokristallisation als ein Verfahren, zwei Substanzen und deren Eigenschaften zu kombinieren. Die Größe und Form der Kristalle spiele dabei eine entscheidende Rolle für die Wirkung des daraus hervorgehenden Stoffs, wie Hermannsdörfer am Beispiel des CL-20/HMX Cokristalls erläuterte. CL-20 (Hexanitroisowurtzitan) gilt als einer der stärksten chemischen Sprengstoffe, ist aufgrund seiner hohen Schlagempfindlichkeit (und der hohen Produktionskosten) bislang aber kaum nutzbar. Durch Cokristallisation mit dem weniger empfindlichen HMX (Oktogen) soll die hohe Leistung von CL-20 leichter handhabbar werden. Eine Herausforderung dabei ist es, das optimale Lösungsmittel zu finden, aus dem beide Stoffe herauskristallisiert werden können. Die richtige Partikelgröße ist ebenfalls Gegenstand der Forschung.

Die ideale Form der Partikel ist die Kugel, weil sie die größte Packungsdichte ermöglicht. Noch idealer ist es, wenn zwei verschiedene Größenklassen verwendet werden, sodass kleine Kügelchen die Lücken zwischen den größeren Kugeln füllen können. Am Beispiel des Oxidators Ammoniumdinitramid (ADN) erläuterte Thomas Heintz (ICT), wie solche Teilchen durch Dispergierung von geschmolzenem Material zu sphärischen Tröpfchen und anschließender Erstarrung in gewünschter Gestalt und Größe erzeugt werden können. Solche "ADN-Prills" könnten bereits im Kilogramm-Maßstab hergestellt werden, allerdings unterliege das Ausgangsmaterial derzeit noch gewissen Schwankungen bei Reinheit und thermischer Stabilität.

…aber wenn damit Geschosse angetrieben werden, können hässliche Löcher entstehen.

(Bild: heise online / Hans-Arthur Marsiske)

ADN gilt insbesondere bei der Verwendung in Feststoffraketen als vielversprechende Alternative zu Ammoniumperchlorat (AP) als Oxidator, bei dessen Verbrennung Salzsäure entsteht. Allerdings zeige ADN ein anderes Zersetzungsverhalten und interagiere anders mit dem Brennstoff, erläuterte Volker Weiser (ICT). Untersuchungen mithilfe von Hochgeschwindigkeitsvideos und Emissionsspektren hätten ergeben, dass AP-Treibstoffe hauptsächlich nahe der Abbrandoberfläche reagierten, während bei ADN-Treibstoffen die Feststoffreaktion wegen der niedrigen Zersetzungstemperatur deutlich tiefer unter der Abbrandoberfläche beginne. Die für AP-Treibstoffe entwickelten Modellierungsverfahren könnten daher nicht direkt auf ADN übertragen, sondern müssten überdacht werden.

Dabei könnte Weiser Hilfe von seinem Kollegen Sebastian Knapp am ICT bekommen: Der stellte mit Hot-Spot 3d ein Modell vor, das das Abbrandverhalten unterschiedlicher Stoffgemische simulieren soll. Der Vergleich mit experimentell gewonnenen Daten bei der Verbrennung von Thermitmischungen aus Aluminium und Kupferoxid sowie Aluminium und Manganoxid hätten gute Übereinstimmungen ergeben, sagte Knapp. Entscheidend sei die Berechnung der Partikelverteilung. Zukünftig könnte das Modell beim Design neuer pyrotechnischer Mischungen vorab herangezogen werden.

Das gilt aber nur für Feststoffmischungen. Was Berthold Schwarz vor 650 Jahren wahrscheinlich noch nicht geahnt hat: Raketen fliegen heute auch mit flüssigen Treibstoffen – und zukünftig vielleicht mit Gel. Gelförmige Treibstoffe werden jedenfalls am Deutschen Zenrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) intensiv erforscht. Sie vereinen die Vorteile von Flüssigantrieben (Regelbarkeit, Abschaltbarkeit, Wiederzündbarkeit) mit der einfachen Handhabung und Lagerbarkeit von festen Treibstoffen. Über den derzeitigen Stand der Forschung soll es am letzten Tag des Forums mehr Informationen geben. (anw)