Sondergipfel in Brüssel: Zuckerbrot und Peitsche

Macron (mit einer Merkel-Raute-Variation), Merkel und Gentiloni. Bild: EU

Verhandlungen über EU-Budget: Kanzlerin Merkel, die noch 2014 eine Kürzung durchgesetzt hatte, fordert nun mehr Geld - vor allem für Flüchtlinge. Doch es geht auch um Konditionen und Sanktionen

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Angela Merkel fordert Osteuropa heraus - so stimmte Spiegel online seine Leser auf den Sondergipfel der EU zur Finanzplanung 2021-2027 ein. Die Kanzlerin werde mehr Solidarität in der Flüchtlingspolitik fordern und unwilligen Ländern wie Ungarn oder Polen mit Mittelkürzungen drohen, so die Erwartung.

Streit lag in der Luft - so wie beim EU-Gipfel im Dezember, bei dem Ratspräsident Donald Tusk vor einer Spaltung warnte (EU: Die Fassade der Einheit bröckelt).

Doch es kam anders. Merkel gab sich in Brüssel überraschend versöhnlich. Es gehe ihr nicht um Sanktionen, sondern um eine Ermunterung, erklärte die Kanzlerin nach dem rund siebenstündigen Treffen. Die Forderung nach mehr Solidarität müsse "nicht immer im Sinne von negativer Verbindung" gesehen werden, betonte sie.

Es könne auch positiv betrachtet werden, wenn einige Staaten mehr bei der Aufnahme von Flüchtlingen leisteten. Dafür müsse es dann aber auch mehr EU-Hilfen geben.

Ein hintersinniger Vorstoß

Das klang mehr nach Zuckerbrot als nach Peitsche. Dabei ist der Vorstoß, den Merkel schon in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag angekündigt hatte, durchaus hintersinnig. Bei der Vergabe von EU-Geldern müsse "künftig auch das Engagement vieler Regionen und Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Migranten berücksichtigt werden", so die Kanzlerin.

Wenn sie sich durchsetzt, könnte sie auch jenen reicheren Regionen in Deutschland weitere EU-Hilfen sichern, die sonst nach 2020 wohl kein Geld mehr aus Brüssel bekommen würden.

Gleichzeitig könnten die "Verweigerer" in Polen und Ungarn verlieren - denn EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) droht ihnen mit Mittelkürzungen. Beim EU-Gipfel führte dies jedoch nicht zum erwarteten großen Clash. Zwar gab es durchaus Widerspruch: Die Strukturfonds seien für die Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU bestimmt, sagte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite, "und nicht für irgendetwas anderes".

Polens Europaminister Konrad Szymanski warnte in der Welt sogar vor einem "Fehler", der "weitreichende Folgen" haben könne. Allerdings ruderte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gleich wieder zurück. Das künftige EU-Budget müsse auf einem "gesunden, guten Kompromiss" basieren, sagte Morawiecki in Brüssel. Sein Land sei dazu bereit.

Für einen Kompromiss sprach sich auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz aus, der zusammen mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert. Er könne nachvollziehen, dass es "gewisse Konditionalitäten" geben solle, sagte Kurz. "Ich würde nur bitten, nicht ständig auf Flüchtlinge zu fokussieren."

Juncker warnt vor einer neuen Spaltung

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte vor einer neuen Spaltung in Europa. Er sei "sehr besorgt, dass es diesen Graben zwischen Ost und West gibt." Juncker verwies gleichzeitig darauf, dass die EU-Kommission noch keine Entscheidung zu möglichen Konditionen oder Sanktionen getroffen habe. Ein Vorschlag der Brüsseler Behörde zum neuen Finanzrahmen, der rund eine Billion Euro umfassen dürfte, wird erst im Mai erwartet.

Demgegenüber hat sich Merkel offenbar schon festgelegt. Sie fordert nicht nur Solidarität in der Flüchtlingsfrage, sondern will die EU-Förderung auch an Grundwerte wie Rechtsstaat und Demokratie binden.

Der nächste Finanzrahmen müsse "ein politischer Haushalt" werden, betonte die Kanzlerin nach dem Gipfel. Ähnlich äußerte sich Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Wenn die Justiz nicht mehr unabhängig sei, müsse das Auswirkungen auf die Vergabe von EU-Geldern haben, sagte er.

Doch sogar diese ziemlich deutliche Warnung verfehlte ihre Wirkung.

Weder Polen, gegen das ein Sanktionsverfahren der EU-Kommission läuft, noch andere Osteuropäer ließen sich aus der Reserve locken. Die von Merkel und Macron angedachte Konditionierung von EU-Mitteln sei insgesamt wohlwollend aufgenommen worden, sagte Ratspräsident Donald Tusk nach dem Ende des Treffens. Sogar Polen habe sich zustimmend geäußert - unter der Voraussetzung, dass die Kriterien objektiv ausfallen.