Experten kritisieren massiv geplante bayerische Polizeirechtsreform

Der neue Bundesinnenminister will auf Bundesebene das Polizeirecht verschärfen, nach dem Vorbild Bayerns. Dort wird gerade das Polizeiaufgabengesetz reformiert, womit die bayerische Polizei bislang ungekannte Befugnisse erhalten soll.

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Experten kritisieren massiv geplante bayerische Polizeirechtsreform

(Bild: dpa)

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Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
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Zur geplanten Neuordnung des Polizeirechts wurden am Mittwoch im bayerischen Landtag Experten angehört. Sie verwiesen dabei auf diverse Bestandteile, die vermutlich verfassungswidrig sind. Der Strafrechtsexperte Hartmut Wächtler wies vor dem Innenausschuss darauf hin, dass damit "die größte und umfassendste Kontrollkompetenz" für eine Polizei in Deutschland seit dem Ende des Nationalsozialismus im Jahr 1945 geschaffen werden würde.

So müsse die Polizei keine konkrete Gefahr mehr nachweisen, um gegen Bürger vorgehen zu können. Das Post- und Telekommunikationsgeheimnis dürfe bereits präventiv bei "drohender Gefahr" von der Polizei gebrochen werden. Dazu gehörten auch Zugriffe auf den Computer, das Smartphone und die Cloud. Die Daten dürften durchsucht, gespeichert, gelöscht und sogar verändert werden, dazu gehörten auch die Kommunikationsdaten einer E-Mail.

Aber auch technisch noch nicht ausgereifte Befugnisse sollen eingeführt werden: So soll die Polizei auch auf friedlichen Demonstrationen eine Videoüberwachung mit automatisierter Gesichtserkennung einsetzen dürfen. Voraussetzung dafür ist der bereits beschlossene zentrale Zugriff auf Bilddaten über das künftige Bund-Länder-Polizeisystem.

Der Polizei steht es frei, Bürger präventiv als Gefährder zu kategorisieren. Diesen darf die Polizei ohne Prozess und Verteidiger einen Wohnort zuweisen. Sie dürfen bei konkretem Verdacht für zunächst drei Monate, mit richterlicher Genehmigung für unbegrenzte Zeit in Vorbeugehaft genommen werden. Vor dem Gericht steht ihnen aber kein Pflichtverteidiger zu. Es genügt, dass die Polizei eine Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person in überschaubarer Zukunft eine Straftat begehen wird. Dabei geht es nicht nur um Terror, sondern um normale Kriminalität. Das bayerische Innenministerium sieht darin "bessere und modernere Eingriffsbefugnisse im Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität".

Kritik an der ebenfalls vorgesehene DNA-Phänotypisierung für Fahndungszwecke kommt auch von der Freiburger Wissenschaftsinitiative. Die Freiburger Kulturanthropologin Prof. Dr. Anna Lipphardt sagt: "Vorgesehen ist ein Alles-ist-erlaubt-Gesetz, bei dem die Ermittler sehr weitreichende Befugnisse erhalten, ohne Rechenschaft über die Art der Anwendung geben zu müssen."

Weil sich vor allem dann weiterführende Ermittlungshinweise zur Eingrenzung eines Personenkreises ergäben, wenn die Analyse-Ergebnisse auf Menschen mit genetischen Wurzeln außerhalb Europas hinwiesen, können sich Ermittlungen überproportional auf diese Gruppen konzentrieren, warnte Lipphardt. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma befürchtet, dass Minderheiten mit dem kriminalpolizeilichen Ermittlungsansatz der erweiterten DNA-Analyse pauschal kriminalisiert, massiv verdächtigt und damit stigmatisiert würden.

Der bayerische Gesetzesentwurf sieht noch weitere Befugnisse für die Polizei vor, die bisher regelmäßig dem Bereich des Verfassungsschutzes zugeordnet wurden. So dürfen etwa Bodycams der Polizei auch in Wohnungen eingesetzt und Drohnen offen und verdeckt für die Datenerhebung verwendet werden. Überdies darf die Polizei Wohnungen heimlich abhören und filmen. Verdeckte Ermittler dürfen unter falschem Namen in Wohnungen aktiv werden, ebenso als Kommunikationspartner in Messengern oder einem anderen Internet-Dienst. Auch darf die Polizei Privatpersonen als V-Männer einsetzen. Ein Richter soll in solchen Fällen nur dann die Genehmigung erteilen müssen, wenn sich der Einsatz gegen eine bestimmte Person richtet.

Franz Schindler von der SPD-Landtagsfraktion glaubt nach der Expertenanhörung, dass "die bayerische Polizei nicht hilflos, sondern schon jetzt in der Lage ist, ihre Aufgaben gut zu erledigen, was bereits dadurch bewiesen wird, dass Bayern das sicherste Bundesland ist." Der Generalsekretär der FDP Bayern, Norbert Hoffmann, findet "es schlicht bizarr, dass wir die millionenfache Überwachung unbescholtener Bürger angeblich brauchen, es gleichzeitig aber nicht möglich ist, die wirklich bedrohlichen Gefährder lückenlos zu überwachen".

Katharina Schulze, innenpolitische Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag, sieht in dem Gesetz die "Ermöglichung eines Überwachungsstaates". Für die Grünen gehe die massive Ausdehnung der Polizeibefugnisse zu weit. Und die fraktionslose Landtagsabgeordnete Claudia Stamm warnt: "George Orwell ist nichts dagegen. Der Umbau der bayerischen Polizei zu einer potenziellen Geheimpolizei findet jetzt seine Fortsetzung."

Der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri erkennt in dem Gesetzentwurf eine "konsequente Herabsenkung der Einschreitschwellen". Die zahlreichen neuen polizeilichen Datenverarbeitungsbefugnisse seien "unter Freiheitsaspekten problematisch" und deren Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben "nicht geklärt".

Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung erstmals eine "Überwachungsgesamtrechnung" gefordert, wonach "eine möglichst flächendeckende vorsorgliche Speicherung aller für die Strafverfolgung oder Gefahrenprävention nützlichen Daten von vornherein mit der Verfassung unvereinbar" sei. Petri stellt daher die Frage, ob mit dem Gesetzesentwurf bereits über die Überwachungsgesamtbilanz hinausgegangen wird. FDP-Politiker Hoffmann sekundiert: "Wenn auch Petri betont, dass die Vorverlagerung der polizeilichen Aufgaben in das Gefahrenvorfeld weder verfassungsrechtlich noch europarechtlich geboten ist, müssten bei allen Bürgern und Politkern eigentlich die Alarmglocken läuten." (anw)