Türkei: Das Ende der Pressefreiheit

Der Medienkonzern Dogan wird an ein AKP-nahes Unternehmen verkauft, ein neues Gesetz soll das Internet kontrollieren

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Presse- und Meinungsfreiheit gehören zum Fundament jeder Demokratie. Die letzten Reste dieses Fundaments werden in der Türkei nun abgetragen. In der vergangenen Woche führte die türkische Regierung gleich zwei schwere Schläge gegen die Freiheit des Wortes. Abgesehen von einer winzigen Handvoll oppositioneller Medien mit kleinen Auflagen, die nun unter umso höherem Druck stehen, wird nun die komplette Medienlandschaft von Erdogans Regime kontrolliert.

Wie unfrei die Presse in der Türkei ist, ließ sich in den letzten zwei Monaten beispielhaft beobachten. Ob Fernsehen, Zeitungen oder Onlinemedien: Alle trommelten sie unisono für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, den die türkische Armee gemeinsam mit dschihadistischen Milizen in Syrien führt. Es war unmöglich, der gigantischen staatlichen PR-Kampagne für den Krieg zu entkommen. Dass es sich dabei de facto um einen Eroberungsfeldzug handelt, der mit schweren Kriegsverbrechen einhergeht, davon erfuhr man in türkischen Medien hingegen nichts (Unverfrorene Propganada: Der saubere Krieg). Im Gegenteil: Wer es wagte, sich medial oder öffentlich kriegskritisch zu äußern, wurde verhaftet. Schon zu Beginn des Einsatzes im Januar wurden erneut zahlreiche kurdische Journalisten festgenommen, der Vorwand lautet wie üblich: Terrorunterstützung.

Die Pressefreiheit war in der Türkei schon immer ein problematisches und schwieriges Thema. Staatliche Einflussnahme hat es zu jeder Zeit gegeben, auch Redeverbote und Zensur. Man denke nur an das konfliktträchtige Thema Armenier-Genozid und die Ermordung von Hrant Dink. Dennoch blühte gerade in der Anfangszeit der AKP-Herrschaft die Medienbranche auf. Zeitungen und Magazine, Verlage und Sender wurden gegründet, und die meisten konnten weitgehend frei agieren, solange sie eine Handvoll heißer Eisen ignorierten - oder nur mit großem Fingerspitzengefühl thematisierten.

Doch spätestens seit dem Putschversuch vom Sommer 2016 eskalierte der Krieg Erdogans gegen Presse- und Meinungsfreiheit. Tausende Menschen wurden wegen Aussagen auf Twitter und Facebook angeklagt; mehr als 150 Medien wurden verboten, über 160 Journalisten inhaftiert - mehr als in jedem anderen Land der Welt. Bücher werden verboten, Verlagshäuser geschlossen, Theaterstücke dürfen nicht mehr aufgeführt, Songs nicht mehr gesendet werden. Die einst so florierende türkische Kulturlandschaft wird erstickt. Die Gleichschaltung schreitet mit rasender Geschwindigkeit voran.

Korruption in Reinform

Der jüngste Coup: Der Verkauf des einst mächtigen und Erdogan-kritischen Medienkonzerns Dogan an den AKP-treuen Unternehmer Demirören. Zur Dogan-Gruppe gehören unter anderen die Tageszeitung Hürriyet, deren englischsprachiger Online-Ableger Hürriyet Daily News, CNN Türk und Kanal D sowie der renommierte Literaturverlag Dogan Kitap, wo neben internationalen Bestsellern auch die Werke kritischer türkischer Schriftsteller wie Hakan Günday oder Fazil Say erscheinen. Damit könnte nun Schluss sein.

Der Mischkonzern Demirören, der im Energie- und Immobiliensektor agiert und zahlreiche Malls betreibt, darunter auch eine im Istanbuler Zentrum nahe des Taksim-Platzes, gilt als der Regierung eng verbunden. 2014 feuerte Demirören den Chefredakteur der Tageszeitung Milliyet - auf Druck von Recep Tayyip Erdogan persönlich.

Die Taktik an sich ist nicht neu. Schon oft hat Erdogan ihm nahestehende Unternehmer dazu gebracht, Medien aufzukaufen - im Gegenzug gab es stets lukrative staatliche Aufträge. Wurden Medien zu kritisch, drohte der Wegfall dieser Aufträge, was manchen in Existenznot bringen konnte. Es ist Korruption in Reinform. Problematisch ist der Verkauf an Demirören auch für den deutschen Springer Verlag, der an der Hürriyet beteiligt ist und sich einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge nun zurückziehen will.

Der ehemalige Online-Chef der Hürriyet, Bülent Mumay, der inzwischen in Deutschland lebt, nennt den Verkauf in der FAZ den "Tod der Mainstream-Medien in der Türkei". Keine einzige unabhängige Mediengruppe existiere mehr im Land, schreibt Mumay weiter. Die Demirören-Gruppe "tat sich bereits damit hervor, die redaktionelle Linie aufgekaufter Zeitungen im Eiltempo zu ändern und als regierungskritisch geltende Journalisten vor die Tür zu setzen."

Am Mittwoch dieser Woche folgte dann der nächste Schlag: Am frühen Morgen stürmte die Polizei die Redaktion der linken kurdischen Tageszeitung Özgürlükcü Demokrasi im Istanbuler Stadtteil Beyoglu. Die Zeitung ist der Nachfolger der verbotenen Özgür Gündem, für die auch Asli Erdogan geschrieben hatte. Während ihrer Inhaftierung hatten zahlreichen internationale Autoren sich an einer Solidaritätskolumne beteiligt, die neben Özgürlükcü Demokrasi auch in Deutschland in der taz erschienen war. Sowohl in der Redaktion als auch in der Druckerei wurde Arbeitsmaterial beschlagnahmt und neun Mitarbeiter festgenommen. Offenbar sollen nun auch noch die letzten kleinen Oppositionsmedien dichtgemacht werden, zu denen auch die traditionsreiche Cumhuriyet und Evrensel zählen.

Internetzensur

Zugleich brachte die AKP ein neues Gesetz zur Internetzensur auf den Weg, mit dem die staatliche Medienaufsicht jegliche unliebsame Website sperren kann. Bereits jetzt sind zahlreiche kritische Medien und auch internationale Websites wie Wikipedia in der Türkei offiziell nicht erreichbar. YouTube, Facebook und Twitter wurden zeitweise gesperrt. Auch Exilmedien wie das von dem ehemaligen Cumhuriyet-Chefredakteur von Berlin aus geleitete Magazin Özgürüz, sind gesperrt.

Medien, auch aus dem Ausland, müssen sich nun bei der Medienaufsicht in Ankara eine Genehmigung einholen, bevor sie Beiträge publizieren, ansonsten drohen Strafen und Sperrungen. Das ist nichts weniger als der Versuch, das Internet in der Türkei gänzlich unter staatliche Kontrolle zu stellen. Dass das nur bedingt funktioniert, zeigen Beispiele wie Iran, wo ebenfalls eine rigide Zensur herrscht, die aber immer wieder kreativ umgangen wird. Man kann davon ausgehen, dass es der AKP in erster Linie darum geht, das Drohpotential gegenüber kritischen Publizisten zu erhöhen und vor dem Wahlkampf 2019 die nahezu lückenlose Kontrolle über die Medien zu erreichen.