Astronomiekonferenz EWASS: Riesenteleskope und Neutronensternenstaub

Die astronomische Forschung ist seit Galileo Galilei immer aufwendiger und komplizierter geworden. Neue und immer größere Teleskope bieten unzählige Möglichkeiten, trotzdem hat sich an der Entwicklung seit Galileis Zeiten nichts Grundlegendes geändert.

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Riesenteleskope und Neutronensternenstaub

(Bild: WikiImages)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Als Galileo Galilei vor 408 Jahren erstmals ein Teleskop auf den Himmel richtete, hatte er sich das Beobachtungsinstrument noch selbst gebaut, kniff ein Auge zusammen, um mit dem anderen durch das Okular zu schauen und zeichnete seine Beobachtungen mit Feder und Tinte auf. Seitdem ist astronomische Forschung immer aufwendiger und komplizierter geworden. Die European Week of Astronomy and Space Science (EWASS) in Liverpool vermittelte jetzt einen Eindruck von den Dimensionen heutiger und zukünftiger Observatorien.

Der Eigenbau von Teleskopen führt heute zwar zu deutlich besseren Resultaten als zu Galileis Zeiten, ist aber nur für Amateurastronomen interessant. Die Planung und Realisierung von professionellen Observatorien ist dagegen häufig eine multinationale Angelegenheit, die sich über Jahrzehnte hinziehen kann. So arbeitet die aus 15 Nationen (mit Irland werden es dieses Jahr 16) bestehende europäische Astronomie-Organisation ESO derzeit am Extremely Large Telescope (ELT).

Im Vergleich mit Galileis Fernrohr, dessen Objektiv einen Durchmesser von etwa fünf Zentimetern hatte, ist es wirklich extrem groß: Der Primärspiegel wird einen Durchmesser von 39 Metern haben und aus 798 sechseckigen Segmenten von jeweils etwa 1,40 Metern Breite bestehen. „Das entspricht ungefähr der Größe eines Tennisplatzes“, sagte ESO-Wissenschaftler Michele Civasuolo. „Die Licht sammelnde Fläche dieses einen Teleskops wird größer sein als die aller heute betriebenen Teleskope der Größenklasse von acht bis zehn Metern zusammen.“ Der 2014 begonnene Bau soll 2024 abgeschlossen sein und wird dann etwa eine Milliarde Euro gekostet haben. Die jährlichen Betriebskosten werden auf 30 Millionen Euro geschätzt.

ELT: Produktionsbeginn des Hauptspiegels (6 Bilder)

(Bild: SCHOTT/ESO)

Niranjan Thatte (University of Oxford) brach diese schwer fassbaren Kosten auf ein anschaulicheres Maß herunter. „Die Beobachtungskosten des ELT liegen bei 10 Euro pro Sekunde“, sagte er. Da will es genau überlegt sein, in welche Richtung man das Teleskop wie lange ausrichtet – und welches Instrument man anschließt. Denn das über vier weitere Spiegel gesammelte Licht wird von keinem Astronomen direkt angesehen, sondern von hoch empfindlichen Spektrographen aufgezeichnet. Die haben auch für sich allein schon beeindruckende Dimensionen: Das für das sichtbare Licht und nahes Infrarot ausgelegte Instrument HARMONI, das als eines der ersten den Betrieb am ELT aufnehmen soll, wiegt 35 Tonnen und ist mehrere Meter hoch. Um seinen Einsatz sorgfältiger planen zu können, wurde die Software HARMONI Sim (HSIM) entwickelt. Mit ihrer Hilfe ließ sich zum Beispiel errechnen, dass für die Bestimmung der Rotationskurven von Galaxien vier bis fünf Stunden Beobachtungszeit erforderlich wären, erklärte Thatte.

Neben dem ELT gibt es weltweit noch zwei weitere Projekte zum Bau von Teleskopen in der Größenklasse über 20 Metern: das Thirty Meter Telescope (TMT) und das Giant Magellan Telescope (GMT). Mit diesen Observatorien wird es möglich sein, Exoplaneten wie Proxima Centauri b zu sehen und ihre Atmosphären zu untersuchen, oder den Spin der um das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße rotierenden Sterne zu erkennen, erwartet Cirasuolo. Sie werden noch weiter ins ferne Universum als bisher schauen können, die Entstehung und Evolution von Galaxien aufklären und vielleicht die Frage beantworten, wie konstant physikalische Konstanten tatsächlich sind.

Anders als zu Galileis Zeiten wird das Weltall aber längst nicht mehr nur im Bereich des sichtbaren Lichts untersucht, sondern auch in höheren und niedrigeren Frequenzbereichen des elektromagnetischen Spektrums. So soll im Jahr 2020 der Bau des weltweit größten Radioteleskops beginnen, des Square Kilometer Array (SKA), das den Himmel bei 50 Megahertz bis 24 Gigahertz durchmustern soll. Es werde Tests der allgemeinen Relativitätstheorie ermöglichen, dem Ursprung des kosmischen Magnetismus auf den Grund gehen und alle auf die Erde gerichteten Pulsare in der Milchstraße, deren Zahl auf 30.000 geschätzt wird, erfassen, versprach SKA-Generaldirektor Philip Diamond. Am SKA, dessen Antennen in Südafrika und Westaustralien errichtet werden, sind derzeit zehn Nationen beteiligt, mit sieben weiteren (darunter Deutschland) wird derzeit verhandelt.

Neben den bodengestützten Observatorien gibt es außerdem Weltraumobservatorien. Über die Pläne der europäischen Weltraumorganisation ESA berichtete deren Wissenschaftsdirektor Günther Hasinger. Mit den Missionen Cheops und Plato trage Europa zu einer „rosigen Zukunft für Exoplanetenstudien“ bei, sagte er, benannte aber zugleich auch eine Lücke in der bisherigen Planung. Da viele der bisher entdeckten Exoplaneten zur Größenklasse der Eisriesen Uranus und Neptun im Sonnensystem zählten, wäre eine Mission zu diesen Planeten dringen. Bisher sind sie nur beim Vorbeiflug von Voyager 2 aus der Nähe untersucht worden. Günstige Konstellationen, bei denen Schwerkraftmanöver an anderen Planeten ausgenutzt werden könnten, böten sich in den Jahren 2031 und 2032, so Hasinger.

Ein weiteres Anliegen war ihm der koordinierte Flug der beiden Weltraumobservatorien Lisa und Athena. Lisa, das nach Gravitationswellen suchen soll, wurde ebenso wie Athena, das für Beobachtugen im hochfrequenten Röntgenbereich ausgelegt ist, konzipiert, bevor Gravitationswellen erstmals nachgewiesen wurden. Im vergangenen Jahr gelang mit GW170817 zudem zum ersten Mal die optische Identifizierung der Quelle einer Gravitationswelle. Marica Branchesi vom italienischen Gran Sasso Science Institute berichtete davon, wie sich hier ein neues Fenster zum Universum eröffnet hat. Bei dieser Verschmelzung zweier Neutronensterne sei es zum ersten Mal möglich gewesen, deren Verformung durch die Gravitationswirkung abzuschätzen und deren Masse zu bestimmen, die zwischen 0,86 und 2,26 Sonnenmassen liege. Die spektroskopische Analyse des Ereignisses habe Hinweise auf Cäsium und Tellurium ergeben. Unklar sei noch, ob bei der Verschmelzung der bisher schwerste bekannte Neutronenstern oder das leichteste Schwarze Loch entstanden sei.

Erste Gravitationswellen-Quelle beobachtet (13 Bilder)

Die Überreste der Kilonova als Fusion zweier Neutronensterne – aufgenommen mit dem VIMOS-Spektrograph der Europäischen Südsternwarte.
(Bild: ESO)

Das Ereignis unterstreicht, wie fruchtbar die rasche Koordination verschiedener Observatorien sein kann. Da dies im Falle von Lisa und Athena nachträglich implementiert werden muss, wäre für die Missionen eine Budgeterhöhung von 20 Prozent erforderlich, sagte Hasinger. Es wird sich zeigen, ob er die ESA-Mitgliedsstaaten in den kommenden Jahren davon überzeugen kann.

Trotz der gewaltigen Dimensionen heutiger astronomischer Beobachtungsinstrumente hat sich an deren Entwicklung seit Galileis Zeiten nichts Grundlegendes geändert: Ein Modell des Universums wird mithilfe von Beobachtungen überprüft, führt zu einem neuen Modell, das wiederum mit neuen Instrumenten überprüft wird, die weitere, modifizierte Modelle hervorbringen und so weiter. Wie sich das Weltbild in den letzten Jahrzehnten verändert hat, fasste Hasinger in Anlehnung an Joni Mitchells berühmten Song „Woodstock“ (mit der Zeile „we are stardust“) zusammen, indem er präzisierte, dass die Materie, aus der unsere Körper bestehen, nicht nur Staub aus Supernovaexplosionen sei, sondern auch Staub von Neutronensternen – „nicht zu vergessen die sieben Prozent Wasserstoff, die noch vom Urknall übrig sind“. (bme)