Verriss des Monats: Sterben, um zu leben

Ein neuer Marktteilnehmer in der frankensteinhaft bizarren Welt der Kryonik wartet mit einer makabren Verheißung auf: die vage Hoffnung auf ewiges Dasein – wenn du dich zuvor von uns töten lässt.

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Von
  • Peter Glaser
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Steve Jobs wollte eine Delle im Universum hinterlassen. Etwas, das bleibt. Auch Jeff Bezos, der bereits alle Milliardärsspielsachen von der eigenen Zeitung bis zum Raumfahrtunternehmen hat, denkt nun an später und unterstützt mit 42 Millionen Dollar den Bau der Clock of The Long Now (der poetische Name stammt von dem Musiker Brian Eno). Die sehr große Uhr, die auch in 10.000 Jahren noch ausreichend genau gehen soll, wird im Inneren eines Bergs auf einem Grundstück von Bezos in Texas errichtet. Auch eine Art, sich ein Denkmal zu errichten.

Der Wunsch, unsterblich sein zu können, ist so alt wie das Bewusstsein, sterblich zu sein. Erste Bestattungen vor rund 100.000 Jahren weisen zugleich auf erste Vorstellungen, in denen die physische Welt und damit auch der Tod scheinbar überschritten wird. Im alten Ägypten gelangte die Kunst, den Körper Verstorbener in einer nach Ansicht der damaligen Priester-Anatomen funktionsfähigen Weise in die Totenwelt zu transferieren, mit der Mumifizierung und magischen Ritualen zu einer ersten Hochblüte. Bemerkenswerter Weise wurde die Tradition später – nicht aus religiösen, wohl aber aus ideologischen Gründen – mit dem Leibern kommunistischer Prominenz fortgeführt, namentlich Lenin, Mao, Kim Il-Sung und Kim Jong-Il.

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Mitte des 20. Jahrhunderts nahm die Idee Gestalt an, durch Krankheit Hingeschiedene einzufrieren, um sie in einer Zukunft, in der solche Gebrechen reparabel sein würden, wieder aufzutauen und zu revitalisieren – die Kryonik. Da Eiskristalle die Zellwände zerstören, wurde ein Verfahren mit einem eigenen Frostschutzmittel entwickelt. Der Marktführer, die Alcor Life Extension Foundation, bewahrt die so präparierten Köpfe (80.000 Dollar) oder Ganzkörper (200.000 Dollar) in Tanks mit flüssigem Stickstoff auf.

Die Hoffnung darauf, eines Tages wieder zum Leben erweckt zu werden, ist etwa so groß wie bei einer altägyptischen Mumie. Hoffnung aber wirkt auch in homöopathischen Dosen. Um unwiderbringliche Schäden zu vermeiden, ist es wichtig, das Blut des Verstorbenen so schnell wie möglich durch die Frostschutzflüssigkeit zu ersetzen. In einem Fall, in dem nur der Kopf aufbewahrt werden sollte, wurde das Körperteil mangels anderer geeigneter Instrumente mit Hammer und Meissel vom Rumpf abgetrennt, wie ein Alcor-Whistleblower berichtet.

Nun hat das kalte Geschäft mit der Hoffnung einen weiteren Zacken zugelegt: Das US-Startup Nectome hat eine neue Methode entwickelt, das Gehirn "in bisher unerreichter Detailgenauigkeit" zu konservieren. Der Haken: Sie funktioniert nur, wenn der Interessent sich dazu euthanasieren läßt. Für diese forcierte Vitrifizierung – bei der die Körperflüssigkeit durch Abkühlung "verglast" wird, ohne dass sich Kristalle bilden – ist es unumgänglich, dass das Gehirn sich noch in einem Zustand unverstorbener organischer Frische befindet.

Anwärter auf die Dienste von Nectome müssen unter einer unheilbaren, tödlichen Krankheit leiden und bereit sein, ihrem Leben vorzeitig ein – so die Verheißung; vorläufiges – Ende zu setzen. Unter Vollnarkose soll das Blut im Körper durch einen firmeneigenen Chemiecocktail ersetzt werden – "das Verfahren ist zu 100 Prozent tödlich", so der MIT-Absolvent und Nectome-Mitgründer Robert McIntyre geradezu schwärmerisch. Das Unternehmen hat sich mit Anwälten beraten, die mit dem vor zwei Jahren in Kraft getreteten End of Life Option Act in Kalifornien vertraut sind, der es Menschen im Endstadium einer Krankheit ermöglicht, von einem Arzt assistiert aus dem Leben zu scheiden, und die der Auffassung sind, dass ein solcher Dienst legal sei.

Dazu gibt es dann noch die Idee, dass ein solches Standby gehaltenes Gehirn eines künftigen Tages eingescannt und in eine Computersimulation verwandelt werden könnte, in der dann jemand agieren würde, "der dir sehr ähnlich ist" – die möglichst täuschend ähnliche Illusion einer Person also. Wobei rund um die populäre Idee des Bewußtseins-Uploads in einen Computer immer so getan wird, als würde das sterbliche Selbst von einem solchen Codegespinst selbstverständlich eingefangen werden wie ein dicker Fisch und mit hinüber in die elektrisch betriebene Ewigkeit gezogen (die bereits bei Ausfall der Notstromversorgung wieder zu Ende geht).

Sollte es darum gehen, das Prinzip des Erinnerungsfotos auf den technisch neuesten Stand zu bringen: ok. Ob es sich dafür allerdings lohnt, sich freiwillig umbringen zu lassen, sollte man nur dann mit "kann ja jeder für sich entscheiden" beantworten, wenn der Kandidat durch seriöse Informationen auch die verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit einschätzen kann, dass sein biologisches Gehirn jemals revitalisiert und in einen Roboterkörper neu aufleben wird, oder sein auf algorithmisierbare Information reduziertes Bewusstsein durch einen Computer gespenstert.

Sollte es sich bei einem solchen somputerisierbaren Komplex wider erwarten doch um das eigentliche Bewußtsein eines Menschen handeln (der dann auch beliebig kopierbar wäre) und während der möglicherweise Jahrhunderte dauernden Tiefkühlphase etwas wie ein allerwinzigstes Exostenzempfinden verbleiben, würde sich zeigen: In der Hölle brennen keine Feuer. Es ist dort eiskalt.

Das MIT hat vor wenigen Tagen eine bis dahin bestehende Kooperationsvereinbarung mit der Firma Nectome gekündigt.

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