Das Beste sind die Reste

Die Bioökonomie, einst große Hoffnung auf eine nachhaltige Wirtschaft, ist in Verruf geraten. Wie soll es weitergehen?

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Von
  • Susanne Donner

Noch rümpfen viele beim Gedanken an miefenden Biomüll die Nase. Und aus 15,5 Millionen Tonnen Bananenschalen, Apfelbutzen und Rasenschnitt entsteht bisher – ziemlich profan – meist Kompost. Dafür sind Küchenreste eigentlich zu schade, findet Görge Deerberg vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen. In seinen Laboren machen Wissenschaftler Kohle und Katalysatoren für die Industrie daraus. Sie kochen den Biomüll dazu unter Druck in Wasser. Auch ein braunes Öl erzeugen sie, indem sie Rasenschnitt und Heckenabfälle unter Luftabschluss auf 400 Grad Celsius erhitzen. Daraus könnten Firmen Substanzen für Sprit und Putzmittel isolieren. „Wir nehmen niemandem den Acker weg, und wir vergeuden keine Lebensmittel“, sagt Deerberg.

Rückendeckung erhält der Ingenieur für diese Strategie aus der Politik. Sie sucht nach Möglichkeiten, um die Konkurrenz zwischen Biosprit und Brot endlich zu beenden. Sie will dem Vorwurf begegnen, die neue Bio-Industrie fördere vielleicht die Umwelt, ganz sicher aber den weltweiten Hunger. Reste zu verwenden, die sonst nur verrotten, erscheint daher als Königsweg. Solche Abfälle gibt es schließlich zuhauf, wie eine Analyse der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe 2015 zeigte. Sie bezifferte die ungenutzte Menge auf 30 Millionen Tonnen Trockensubstanz allein in Deutschland: vor allem Tot- und Altholz, Gülle, Mist und eben Küchenabfälle. Damit ließen sich etwa fünf Millionen Tonnen Synthesekraftstoff produzieren, was rund einem Zehntel des derzeitigen Verbrauchs an Otto- und Dieselkraftstoff in Deutschland entspricht.

Dabei ist Bioökonomie so alt wie die Menschheit. Pullover aus Wolle und Schmierfette aus Pflanzenölen sind keine Erfindungen der Neuzeit. Aber seit Anbruch des Erdölzeitalters fristet sie eher ein Nischendasein – mit den bekannten Folgen: Der massive Kohlendioxidausstoß fördert einen Klimawandel, der sich mit steigendem Meeresspiegel, abschmelzenden Gletschern und Wetterextremen bereits weltweit ankündigt. Da Pflanzen aber klimaneutral arbeiten, das heißt, nur so viel Kohlendioxid freisetzen, wie sie auch wieder aufnehmen, pusht die Bundesregierung die Bioökonomie. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung rief die „Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“ ins Leben. Zwischen 2009 und 2016 flossen knapp eine Milliarde Euro in rund 1800 Forschungsprojekte – darunter auch die Fraunhofer-Projekte zur Umwandlung des Biomülls. Selten zuvor gab es eine solche konzertierte staatliche Aktion, um eine Branche auf die Beine zu stellen: die biobasierte Wirtschaft. Andere EU-Länder sowie die USA setzen ebenfalls Anreize für die alternative Wirtschaftsweise.

Doch den großen Durchbruch haben die vereinten Anstrengungen bisher nicht gebracht. Ein Grund dafür sind ökonomische Hindernisse: Die USA erschließen seit 2010 massiv ihre Schieferöl- und Schiefergasvorräte, überschwemmen damit den Markt und drücken die Preise. Viele Abnehmer legten Investitionen in größere Bioökonomie-Projekte auf Eis. Derzeit sind zwar sechs Prozent aller Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen – gegenüber lediglich 0,1 Prozent im Jahr 2004. Doch das massive Wachstum von Plastik insgesamt war nicht zu stoppen: Laut einer Studie einer Forschergruppe der University of California von 2017 wurden 1950 weltweit zwei Millionen Tonnen Kunststoffe hergestellt, im Jahr 2015 waren es bereits 380 Millionen, also das 190-Fache.

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

Seite 88 - Bilanz: So wird die Bioökonomie wirklich „bio“

Seite 92 - Energie: Algen und Bakterien produzieren Brennstoff. Aber ist das sinnvoll?

Seite 96 - Biotech: Die Brain AG schürft Gold – mit Mikroben

Seite 100 - Biokunststoff: Nicht jeder hält, was „Bio“ im Namen verspricht

(inwu)