re:publica: Justizministerin Barley fühlt sich von Facebook verschaukelt

Vertreter von Facebook hätten ihr in persönlichen Gesprächen mehrfach versichert, dass der Netzwerkbetreiber die EU-Datenschutzverordnung weltweit als Basis nehmen wollten, beklagte Justizministerin Katarina Barley. Nun sei alles anders gekommen.

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re:publica: Justizministerin Barley fühlt sich von Facebook verschaukelt

Gerhart Baum, Katarina Barley, Jakob Augstein, Constanze Kurz und Thomas Heilmann auf der re:publica 2018.

(Bild: Stefan Krempl)

Lesezeit: 5 Min.
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Bundesjustizministerin Katarina Barley hat sich enttäuscht gezeigt von ihrer Unterredungen mit Abgesandten von Facebook. In den Gesprächen nach dem Datenskandal mit Cambridge Analytica hätten die Vertreter des Plattformbetreibers immer wieder betont, dass der Konzern die am 25. Mai in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung weltweit als neuen Maßstab nehmen werde, sagte die SPD-Politikerin am Freitag auf der re:publica in Berlin. Dann sei bekannt geworden, dass die Kalifornier die ganzen Kunden aus Drittstaaten "aus Europa abziehen". Damit werde "ein Großteil der User" der europäischen Gerichtsbarkeit und den deutlich ausgeweiteten Sanktionsmöglichkeiten in der EU entzogen.

Die Netzkonzerne machten letztlich nur, "was sie tun müssen", monierte die Sozialdemokratin. Die Bundesregierung und die Mitgliedsstaaten wollten den Druck auf Facebook aufrechterhalten, unterstrich Barley. Nötig sei es, die Internetriesen "beim Geld zu packen", wo sie am empfindlichsten seien. Da wäre es am besten, wenn Nutzer in großen Zahlen ihre Konten auf Eis legten und die Werbeeinnahmen zurückgingen. Zugleich befürchtete die Ministerin aber, dass die aktuelle Aufmerksamkeit, die persönliche Daten erführen, nach der Affäre bald wieder abnehmen werde. Zudem habe sie den Eindruck, dass sich "die anderen großen Player ein bisschen wegducken".

Facebook, Google & Co. will Barley aber nicht so schnell aus ihrer Verantwortung entlassen. Sie dränge hier etwa auch auf eine stärkere Kontrolle der eingesetzten Algorithmen, da über diese Manipulationen drohten. Sie könne sich hier etwa vorstellen, einen Faktor einzubauen, der den eigenen Meinungen auch mal entgegenlaufe und Pluralität herstelle. Die Ministerin warnte zugleich davor, "Innovation und Datenschutz gegeneinander zu stellen". Bei letzterem handle es sich um einen Standortvorteil und einen Hebel für neue technische Entwicklungen, "die gegen diese Marktmonopole" arbeiteten. Auch Interoperabilität sei wichtig, damit sich die großen Netzwerke weiter öffneten.

"Wir sollten soziale Netzwerke und Messenger-Dienste zum Offenlegen von Schnittstellen verpflichten", verlangte auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann. Es müsse erst einmal ein echter Wettbewerb bei Social Media entstehen, damit auch Herausforderer eine Chance hätten, die mit Datenschutz anders umgehen als der Platzhirsch. "Ich glaube Facebook kein Wort", rügte der Berliner Ex-Justizsenator das Agieren des Konzerns in der Datenaffäre. Einerseits lobten die Kalifornier in großen Zeitungsanzeigen die Datenschutzverordnung, andererseits verschöben sie die Nutzerkonten in großem Stil.

Der deutschen Justizministerin seien angesichts der Wirkmacht der datengetriebenen Wirtschaft "in hohem Maße die Hände gebunden", stellte mit Constanze Kurz die Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) klar. "Viele Regierungen kriegten aber nicht einmal die "Gnade der Audienz" bei Facebook. Mehr als "ein bisschen Du-Du" könnten die meisten Politiker nicht sagen. Als "Frechheit" wertete es die Hackerin, dass der Netzwerkbetreiber in seine aufgrund der Datenschutzverordnung geänderten Geschäftsbedingungen eine "Freigabe der Biometriedaten" zur Gesichtserkennung versteckt habe. Dies stelle einen "Tritt gegen das Schienbein" der Nutzer und der Regulierer dar.

Gerhart Baum und Katarina Barley auf der re:publica 2018.

(Bild: Stefan Krempl )

Der Alt-Liberale Gerhart Baum vermisste bei der Bundesregierung ein Gesamtkonzept zum Datenschutz, sodass dieser bei der großen Koalition nicht in guten Händen sei. Die Menschenwürde könne nicht relativiert werden durch irgendein Geschwafel von Innovation. "Es gibt Berührungsangst zur Verfassung", meinte der einstige Bundesinnenminister. Der von Schwarz-Rot in die Strafprozessordnung eingeführte Staatstrojaner etwa verstoße gegen das Grundgesetz. Er warf daher die Frage auf: "Warum muss denn immer wieder das Bundesverfassungsgericht die Balance herstellen?" Eigentlich sei es Aufgabe des Gesetzgebers, mögliche Gegensätze zwischen Sicherheit und Freiheit auszugleichen.

Derzeit sieht Baum das Gleichgewicht in der digitalen Welt keinesfalls gewahrt. "Wir leben in einem weltweitem Überwachungssystem, in dem große Datenprovider mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten", erläuterte der FDP-Politiker. "Die NSA, Google etc. nehmen uns unser Recht auf Freiheit." Dagegen "müssen wir mit dem Völkerrecht ran". Der Staat habe zudem auf Basis des von Karlsruhe aufgestellten "Computer-Grundrechts" die Pflicht, die IT-Systeme der Bürger zu schützen: "Der Nutzer muss sich abschotten können gegen Ausspähung."

Protest erntete Heilmann mit seiner Behauptung, dass das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) im Kampf gegen Hasskommentare bei Facebook & Co. "segensreich gewirkt" habe. "Facebook reagiert, man kann sie jetzt in Deutschland verklagen", begründete der Christdemokrat seine Sicht. Kurz führte "substanzielle verfassungsrechtliche Bedenken gegen das NetzDG" ins Feld. Damit schwinge das Pendel "gegen die Meinungsfreiheit" aus. Die Frage, wer sich wie äußern dürfe, könne man nicht privaten Unternehmen überlassen, ergänzte Baum.

Sie hadere ebenfalls mit dem Punkt, "dass die Adhoc-Entscheidung erst mal in den Händen von Privaten ist", ließ Barley gegenüber dem von ihrem Vorgänger Heiko Maas geerbten Normenwerk durchblicken. Nun gelte es aber, die ersten halbjährlichen Berichte über Löschaufforderungen durch die Nutzer von den betroffenen Firmen abzuwarten, die im Juli fällig seien. Die Einsprüche über entfernte Beiträge beim Bundesamt für Justiz bewegten sich auf niedrigem Niveau "im mittleren dreistelligen Bereich".

Hinter die aktuell umkämpfte Initiative für eine E-Privacy-Verordnung, mit der die EU beim Datenschutz bei der elektronischen Kommunikation gegenüber der Grundverordnung noch einen draufsatteln könne, stellte sich die Ministerin generell. Das Dossier sei aber "noch lange nicht in trockenen Tüchern". Es sei sogar unklar, ob die Verordnung überhaupt noch komme. (bme)