Musterschüler beim Kohleausstieg

Lange waren die Rollen der Länder bei der europäischen Energiewende klar verteilt. Deutschland als Vorreiter, Großbritannien unter ferner liefen. Das ändert sich.

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Von
  • Niels Boeing

9,5 Prozent Erneuerbare waren es noch 2011 im Strommix auf der Insel, als Deutschland bereits stolze 20 Prozent vermelden konnte. Doch dann passierte etwas Ungewöhnliches: Am 21. April 2017 wurde zum ersten Mal seit 125 Jahren im Mutterland der Industrialisierung einen ganzen Tag lang keine einzige Kilowattstunde Strom mittels Kohle erzeugt. Das ist das Ergebnis des Kohleausstiegs, den die britische Regierung 2013 eingeleitet hat.

Ende des vergangenen Jahres ist der Anteil von Kohlestrom am britischen Strommix gar auf ein historisches Tief von nur sieben Prozent gefallen, während Kohle zum deutschen Strommix immer noch gut 40 Prozent beiträgt. Damit hat Großbritannien binnen fünf Jahren die CO2-Emissionen aus seiner Stromerzeugung halbiert – eine Verringerung, von der Deutschland nur träumen kann. "Ich bin immer noch überrascht, wie weitgehend und wie schnell der Wandel eingetreten ist", sagt Iain Staffell, Energieforscher am Imperial College in London.

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Das Erfolgsgeheimnis hinter dem britischen Kohleausstieg, der bis 2025 abgeschlossen sein soll, ist nicht kompliziert. Am 1. April 2013 trat ein System namens "Carbon Price Floor" in Kraft. Es verteuerte Kohlestrom drastisch – um 18 Pfund pro Tonne ausgestoßenem CO2, also um rund 20 Euro. Dieser Zuschlag kommt auf den Preis für Zertifikate im EU-Emissionshandel zusätzlich obendrauf. Weil es zu viele Zertifikate gibt, sank deren Preis zwischenzeitlich auf fünf Euro pro Tonne CO2, derzeit sind es knapp sieben Euro.

Dank dieses angehobenen Carbon Price Floor wurde das bis dato zu teure Erdgas schlagartig wieder wettbewerbsfähig. "Großbritannien hatte viele Gaskraftwerke, die nur schwach ausgelastet waren", berichtet Staffell. Seit 2014 sind mehr als zwei Dutzend Kohlekraftwerke vom Netz gegangen, während gleichzeitig die Gaskraftwerke hochgefahren wurden. Acht Kohlekraftwerke sind nun noch in ganz Großbritannien übrig, spätestens 2025 sollen allerdings auch sie abgeschaltet werden.

Moderne Gaskraftwerke stoßen deutlich weniger CO2 als Kohlekraftwerke aus. Verglichen mit Braunkohlekraftwerken, die mehr als die Hälfte des deutschen Kohlestroms liefern, gar nur ein Drittel. Großbritannien bezieht wiederum den größten Teil seines Erdgases aus Norwegen. Ferner stimmt es zwar, dass Großbritannien weiterhin an der Kernenergie festhält. Trotzdem war es nicht der Atomstrom, der einen Großteil des britischen Kohlestroms ersetzt hat. Der Anteil der Kernenergie im Strommix stieg zwischen 2014 und 2016 nur um drei Prozentpunkte.

Der Ausbau der Erneuerbaren ist auf der Insel ebenfalls nicht stehen geblieben. Seit 2011, als Großbritannien noch auf den hinteren Plätzen lag, haben sie um 130 Prozent zugenommen. In Deutschland waren es im selben Zeitraum 50 Prozent. "Es könnte Deutschlands Image als Pionier erneuerbarer Energien schaden, wenn es der 'dirty man of Europe' würde, indem es sich vor seinen Klimaverpflichtungen drückt", warnt daher Iain Staffell.

(nbo)