Wie sich Kultur auszahlt

Wirtschaftliche Faktoren allein können den Wohlstand in modernen Städten nicht erklären: Wissenschaftler vermuten seit langem, dass auch Kultur eine Rolle spielt. Britische Forscher konnten das jetzt bestätigen.

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Eines der Rätsel von modernen Städten liegt darin, dass wirtschaftliche Faktoren wie Investitionen, Arbeitsplätze und Einkommen ihre Prosperität nicht vollständig erklären können.

Im vergangenen Jahrhundert hatte der französische Anthropologe Pierre Bourdieu eine Idee dazu. Wohlstand sei auch die Folge von kulturellen Faktoren wie Bildung, Intellekt und Wissen, vermutete er. Er bezeichnete diese Faktoren als „kulturelles Kapital“ und argumentierte, es spiele eine entscheidende Rolle für den Erfolg von Menschen.

Vielleicht also hängt der Erfolg von Städten nicht nur von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, sondern auch vom kulturellen Kapital. Einzelne Anekdoten sprechen dafür, dass dies plausibel ist. Es gibt reichlich Beispiele von armen Vierteln, die wohlhabend wurden, nachdem sie kreative Personen und Branchen angezogen hatten.

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Beweisen lässt sich dieses Konzept jedoch nur schwierig. Denn Investitionen der Wirtschaft lassen sich leicht messen, kulturelles Kapital aber keineswegs. Gebraucht wird eine zuverlässige Methode für seine Erfassung, die sich für Vergleiche verwenden lässt.

Genau damit haben sich Desislava Hristova von der University of Cambridge und Kollegen jetzt beschäftigt. Und sie haben eine Methode gefunden, kulturelles Kapital in Städten und seinen Beitrag zu ihrem Erfolg zu messen.

Für ihre Technik nutzen die Forscher auf Flickr veröffentlichte Fotos, deren Tags auf unterschiedliche Bereiche kultureller Aktivität verweisen; Beispiele sind Werbung und Marketing, Architektur, Verlagswesen, Handwerke, Film und Fernsehen und so weiter.

Hristova und ihre Kollegen durchsuchten die Foto-Site nach Fotos mit Geotags und diesen Worten in New York und London. Insgesamt fanden sie 1,5 Millionen Fotos, die zwischen 2010 und 2015 aufgenommen wurden.

Dank der Geotag-Angaben zum Ort der Aufnahme konnte das Team jedes Foto einem der 33 Bezirke in London und der rund 70 Distrikte in New York zuordnen. Dies gab ihm eine Grundlage, um Veränderungen bei der kulturellen Aktivität an diesen Orten im Zeitverlauf zu vergleichen.

Außerdem veröffentlichen beide Städte Zahlen für die urbane Entwicklung – in London ist es der Index of Multiple Deprivation, in New York der Social Vulnerability Index. Zusätzlich gibt es Daten über die Häuserpreise, die das Team als Annäherung für den Wohlstand in den Städten verwendete.

Die Ergebnisse sind interessant und scheinen auf der Ebene von Städten erstmals die These von Bourdieu zu bestätigen. „Wir können zeigen, dass wirtschaftliches Kapital allein die städtische Entwicklung nicht erklären kann“, schreiben die Forscher um Hristova. „Die Kombination von kulturellem Kapital und wirtschaftlichem Kapital ist ein besserer Indikator für das Wachstum eines Viertels bezüglich Häuserpreisen und Verbesserung der sozioökonomischen Bedingungen.“

In seiner Studie schlüsselt das Team auch die wirtschaftliche und kulturelle Aktivität für jeden Bezirk der beiden untersuchten Städte auf und zeigt, wie sie von kultureller Aktivität profitieren.

Der Ansatz hat allerdings Schwächen. So verwundert, dass London im Jahr 2012 Gastgeber der Olympischer Spiele war, einem Ereignis, in dessen Vorfeld enorm in kulturelle Aktivitäten wie Tanz, Musik und Theater investiert wurde; hinzu kamen Straßenpartys und natürlich die Sportveranstaltungen. Trotzdem zeigen die Daten der Forscher keine Spitze bei der kulturellen Aktivität in dieser Zeit.

Ein weiterer Faktor ist die Rolle von Wissenschaft und Technologie. Seit einigen Jahren untersuchen Bildungsexperten die Frage, welche Auswirkungen Wissen und wissenschaftliche Kenntnisse auf Berufsleben und Lebensstil von Menschen haben. Die Rede ist hier von „Wissenschaftskapital“.

Wissenschaftskapital scheint eine bedeutende Rolle für die berufliche und persönliche Entwicklung zu spielen. Also ist die Vermutung naheliegend, es könnte auch für den Wohlstand von Städten eine Rolle spielen, in denen davon Gebrauch gemacht wird. Gute Beispiele könnten Oxford und Cambridge in Großbritannien sowie Boston und San Francisco in den USA sein. Diese Faktoren wurden von Hristova und Kollegen nicht berücksichtigt.

Trotzdem hat das Team eine innovative Methode gefunden, um menschliches Verhalten in Städten mit wirtschaftlicher Prosperität zu verbinden. Ein weitergehendere Analyse der Daten verspricht spannende Ergebnisse.

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