Ruinen auf dem Radar

Mit Radarsensoren, Lasergeräten und Detektoren für kosmische Strahlung suchen Archäologen nach neuen Fundstätten. Eine jüngst entdeckte riesige Maya-Stadt in Guatemala gibt einen Vorgeschmack darauf, was noch zu finden sein wird.

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Von
  • Susanne Donner
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Es muss eine kuriose Aktion gewesen sein, als Forscher um Wolfgang Neubauer 2015 mit einem Gefährt, groß wie ein Schneepflug für Gehwege, um den legendären Steinkreis bei Stonehenge herumsausten. Mit bis zu 40 Stundenkilometern. Neubauer nennt das "Formel-1-Archäologie".

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Denn die umgerüsteten Quads sind keine Vergnügungsgeräte. An der Unterseite sitzen im Abstand von acht Zentimetern 16 Radarsensoren, die Strahlung im Bereich um 500 Megahertz in den Boden schicken. "Damit sehen wir eigentlich alles", erläutert Immo Trinks. Er ist Geophysiker in Neubauers Team am Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und virtuelle Archäologie in Wien. Anderthalb bis zwei Meter tief dringen die elektromagnetischen Wellen der Radarsonden in den Boden ein. Mauern, Grabanlagen und Holzpfähle werfen ein spezifisches Echo zurück. Die Forscher können das vergrabene Objekt dann am Computer sichtbar machen.

Ein erstes Bild der Schätze im Boden haben die Wissenschaftler so schon nach Tagen, wofür sie sonst monatelang behutsam mit Schaufel und Sieb das Erdreich durchsuchen. In Stonehenge durchleuchteten sie in wenigen Wochen zwölf Quadratkilometer um das Steinmonument, vier bis fünf Hektar pro Tag. Das ist die größte archäologisch je erschlossene Fläche. Von Hand müssten Hundertschaften dafür Jahre werkeln.

Und es kam, wie es kommen musste. Schon zwei Wochen nach dem Geländescan meldete Neubauer eine Sensation: Nur drei Kilometer entfernt von dem weltberühmten Monument, im Nachbarort Durrington Walls, entdeckte er einen Steinhalbkreis – offensichtlich ein Vorläufer. "Stonehenge ist kein isoliertes Monument, sondern steht am Ende einer langen Tradition von Steinkreisen", sagt Neubauer.

Mit seinem Konzept der Archäologie stellt er die traditionsreiche Disziplin auf den Kopf: "Wir suchen nicht, wir finden", sagt der Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts. "Wir scannen die gesamte archäologische Landschaft." In Zukunft sollen es sogar ganze Länder sein. Denn ständig rücken Bagger an, zerstören Bauarbeiter ahnungslos historische Strukturen im Boden. Die Kulturschätze sind dann auf immer verloren. Und sogar wenn Archäologen graben, ist die Fundstätte hinterher nicht mehr, was sie war. "Als würde ein Arzt einfach in den Patienten hineinschneiden statt zu röntgen", vergleicht Neubauer. Zerstörungsfreie Messungen seien deshalb die Methoden der Zukunft, so wie es das Europäische Übereinkommen von 1992, die Valletta-Konvention, festschreibt.

Grundsätzlich neu ist die archäologische Fernerkundung zwar nicht. In den 80er-Jahren begann der ehemalige Pilot der Luftwaffe Otto Braasch im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg das Bundesgebiet aus der Luft archäologisch auszuspähen. Alte Grabanlagen und Wälle geben sich am veränderten Bewuchs zu erkennen, weil sich in den Gräben Feuchte und Nährstoffe sammeln. Braasch entdeckte so das älteste Sonnenobservatorium der Welt, die Kreisgrabenanlage bei Goseck.

Doch die neuen Methoden eröffnen den Archäologen viel weitergehende Möglichkeiten. Sie können tiefer in die Erde hineinsehen, erhalten mehr Details, und das alles mit deutlich weniger finanziellem Aufwand. Denn die Scanner-Quads sind nicht die einzige Neuerung. Hinzu kommen beispielsweise hochauflösende Satellitenbilder. Mit ihrer Hilfe konnte die US-Archäologin Sarah Parcak die einstige ägyptische Hauptstadt Itj-taui finden, wie sie bei ihrem TED-Talk 2012 verkündete. Pharao Amenemhet machte Itj-taui vor rund 4000 Jahren zur neuen Hauptstadt des Landes am Nildelta. So nahm er dem bis heute weltbekannten Theben (jetzt: Luxor) den Rang.

Künftig ist noch mehr zu erwarten. Neuerdings liefert der Erdbeobachtungssatellit WorldView4 Aufnahmen mit einer Auflösung von 31 Zentimetern und damit in nie da gewesener Qualität. Zudem können unbemannte Drohnen mit sogenannten Lidarlasern die Erdoberfläche Meter um Meter abtasten. Das Kürzel steht für "Light detection and ranging". Der Scanner sendet dafür 200.000-mal pro Sekunde einen Infrarotlichtpuls zur Erde. Aus dem Reflexionsmuster lässt sich ein dreidimensionales Modell des Geländes erstellen, Mauern oder andere bauliche Strukturen werden sichtbar.

Das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg hat auf diese Weise bereits Tausende neuer Fundstätten ausgemacht, darunter unbekannte Grabhügel, Befestigungsanlagen aus dem Mittelalter, einstige Abbaustätten für Eisenerz und Viereckschanzen der Kelten. Die viereckigen Einfriedungen weisen wohl auf eine Siedlung hin, auch wenn sich Historiker ihrer Bedeutung noch nicht ganz sicher sind.

Mit den Laserscannern lassen sich sogar Wälder durchleuchten. Aus den zurückgeworfenen Lichtstrahlen rechnen Computer dann die Vegetation heraus. "Das ist besonders interessant, weil in den Wäldern Siedlungsterrassen, Grabhügel, Kalkbrennöfen und Ruinen oft viel besser erhalten sind als auf landwirtschaftlichen Nutzflächen", sagt Michael Doneus, Spezialist für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien.

Auch unter die Wasseroberfläche wollen die Archäologen schauen. Aufgrund von Meeresspiegelanstiegen oder Landsenkungen liegen dort viele archäologische Stätten, berühmt sind etwa Teile der Wikingersiedlung Birka in Schweden. Doch Schlick und Wasser machen das Graben besonders beschwerlich und teuer. Deshalb soll nun zum einen ein grüner Laser auf den Grund vordringen. Seine Strahlen werden kaum vom Wasser absorbiert. Die ersten Tests 2013 vom Flugzeug aus über dem Mittelmeer liefen jedenfalls erfolgreich: Vor dem kroatischen Badeort Sveti Petar hat Doneus die Grundmauern einer römischen Villa in bis zu acht Metern Tiefe entdeckt.

Theoretisch kann der Untergrund sogar bis in 50 Meter Wassertiefe abgetastet werden. Doch je weiter es hinuntergehen soll, desto schlechter wird die Auflösung. Um dennoch in diese Regionen vordringen zu können, haben die Archäologen zusammen mit dem Vienna Institute for Archaeological Science in Wien ein spezielles Boot gekauft und mit verschiedenen Geräten ausgestattet. Darunter sind zwei Seitensichtsonare. Sie erzeugen Schallwellen, die bis in 200 Meter Wassertiefe vordringen können. Dort werden sie in bestimmten Mustern reflektiert, abhängig von der Bodenbeschaffenheit.

Zusätzlich haben die Forscher der Rostocker Firma Innomar ein Sedimentsonar abgekauft, das hochfrequente Schallwellen nutzt und bis zu vierzig Meter tief in den Meeresboden hineinschauen kann. Es liefert zwei- oder dreidimensionale Aufnahmen aus dem Schlick. Gewöhnliche Sonare schaffen gerade einmal wenige Meter. In diesem Jahr plant Geophysiker Trinks die Jungfernfahrt auf dem österreichischen Atter- und dem Mondsee, um die verschiedenen Sonarsysteme in bis zu 200 Metern Wassertiefe zu erproben. In bis zu fünf Metern Tiefe liegen darin bis zu 6000 Jahre alte bekannte Pfahlbausiedlungen. Trinks sagt: "Wir scannen einfach alles, und weil das noch niemand vor uns gemacht hat, werden wir sehr viel finden."