Zahlen, bitte! Optische Telegrafie mit 196 Zeichen
Die optische Telegrafie verkürzte die Übertragungszeit wichtiger Nachrichten von Tagen auf Minuten.
- Markus Will
- Volker Zota
Das Chappe-System ermöglichte ab dem späten 18. Jahrhundert die optische Telegrafie von Nachrichten mit insgesamt 196 verschiedenen Zeichenkodierungen über große Entfernungen. Die Vorläufer der optischen Telegrafie reichten bereits bis in die Antike – so beschreibt der griechischische Dichter Aischylos 458 v. Chr. im Bühnenstück der Orestie-Trilogie, dass der Sieg im Trojanischen Krieg via Feuersignalen über Bergstationen von Troja nach Argos übermittelt werde. Solche Lärmfeuer waren vor allem für die Alarmierung im Kriegsfalle ein probates Mittel und bis ins 18 Jahrhundert bekannt. Jedoch ließ sich mit dieser Methode eben auch nur ein vereinbartes Zeichen übermitteln, für individuelle Nachrichten war diese Form der Kommunikation weitgehend ungeeignet.
Optische Kommunikation
Eine neue Dynamik sollte mit der Erfindung des Fernrohrs ab 1608 eintreten. Nun war es möglich über größere Distanzen zu blicken, als es mit bloßem Auge möglich war. Und bereits 1684 kam der englische Universalgelehrte Robert Hooke auf die Idee einer vereinfachten Kommunikation durch große, mit Buchstaben versehene Tafeln, welche mit dem Fernrohr abgelesen werden konnten. Dieses System setzte sich allerdings aufgrund von technischen Schwächen nicht durch und so blieb die optische Telegrafie im Versuchsstadium.
Das sollte sich erst 1791 ändern, als der französische Geistliche und Techniker Claude Chappe mit seinen Brüdern zusammen den "Schnellschreiber" (Tachygraf, später Télégraf) entwickelte, der französischen Nationalversammlung vorstellte und mit deren Unterstützung bereits 1794 mit der Verbindung Paris – Lille die erste Telegrafenlinie überhaupt in die Wege leiten konnte.
Übermittlung durch Zeichensetzung
Zentraler Bestandteil dieser ersten Telegrafenstrecke waren 22 über eine Gesamtdistanz von über 270 Kilometern verteilte und durch Fernrohrsichtweite verbundene Stationen, auf denen jeweils ein Semaphormast montiert war. Über einen 4,62 m breiten, um seinen Mittelpunkt in sieben Positionen drehbaren Balken (Regulator), an dessen Enden sich jeweils ein zwei Meter langer in zwei Positionen drehbarer Arm (Indikator) befand, ließen sich in 196 unterschiedliche Kombinationen darstellen (7 × 2 × 7 × 2 = 196).
Die Telegrafentürme waren idealerweise auf einer gut sichtbaren Anhöhe platziert und 9 bis 12 Kilometer voneinander entfernt. Nachteil war Wetterabhängigkeit: Bei Nebel, Regen oder Dämmerung war die Kette unterbrochen; auch Versuche mit Lichtinstallationen verliefen unbefriedigend.
Da jeder in der Nähe eines Turmes diese Übermittlungen sehen und ggf. protokollieren konnte, ließen sich sowohl Nachrichten im Klartext, als auch kodiert übermitteln. So existierten Code-Bücher, zu denen einfach über die Signalgeber die betreffende Seite und Zeile übermittelt wurden und die französische Offiziere, welche ein solches Buch besaßen, die betreffenden Textstellen und Informationen finden konnten.
Staatliches Instant Messaging
Die Vorteile der "Chappe"-Telegrafie waren bestechend: Eine Nachricht ließ sich in wenigen Minuten über eine Strecke übertragen, für die ein Pferdekurier bis dahin drei Tage brauchte. Das französische Revolutionsregime erkannte schnell die Vorteile dieses Systems. Ein Informationsvorsprung konnte bei militärischen Schlachten entscheidend sein und im Zivilen wirtschaftlichen Erfolg sichern.
Die erste Telegrafenverbindung auf heutigem deutschen Gebiet (damals zu Frankreich gehörig) wurde 1813 errichtet. Zwischen den 180 km Luftlinie voneinander entfernten Städten Metz und Mainz wurden für 155.000 Franc 22 Telegrafenstationen gebaut.
Rege von Napoleon zwischen Waffenstillstand von Poischwitz und Vielvölkerschlacht von Leipzig genutzt, gelang den preußischen Truppen zum Jahreswechsel 1813/1814 eine Unterbrechung der Linie und mit der Belagerung von Mainz war die erste Telekommunikationsstrecke der auf dem Gebiet des späteren Deutschlands nach einem halben Jahr bereits wieder Geschichte.
Preußisches Desinteresse
Während in anderen Ländern wie Dänemark, England oder Schweden die Idee schnell übernommen wurden, stand Preußen zunächst ablehnend gegenüber, was den hanseatischen Verleger und Aufklärer Johann Wilhelm von Archenholz 1794 in seiner Zeitschrift “Minerva“ zu folgendem sarkastischen Seitenhieb veranlasste: “Der Telegraph ist eine Maschine, die von Franzosen genutzt wird, während andere Nationen noch prüfen, ob die Erfindung neu oder alt sei.“
In größerem Rahmen wurde die optische Telefgrafie im Preußischem Reich erst um 1832 eingeführt, als eine bis zu 550 km lange Strecke für das verbesserte System des Engländers Barnard L. Watson eingeführt wurde. Das mit sechs Balken arbeitende System konnte bis zu 46 = 4096 verschiedene Zeichen kodieren. Es wurde in den nächsten beiden Jahrzehnten nach und nach von der elektrischen Telegrafie abgelöst. (vza)