Gericht: Redefreiheit für Website von US-Abtreibungsgegnern

Die Betreiber der Anti-Abtreibungs-Website "Nuremberg Files" sind von der Schadensersatzpflicht freigesprochen worden - unter Berufung auf die Redefreiheit.

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Von
  • Klaus Peeck

Die Betreiber der US-amerikanischen Anti-Abtreibungs-Website "Nuremberg Files" sind von einem US-Berufungsgericht von der Schadensersatzpflicht gegenüber Ärzten und der Schwangeren-Beratungsorganisation Planned Parenthood freigesprochen worden. Danach habe eine dreiköpfige Jury des Berufungsgerichts des neunten US-Justizbezirks einstimmig erkannt, dass die Website-Betreiber nur dann zur Rechenschaft zu ziehen seien, wenn sie Gewalttaten authorisierten, ratifizierten oder direkt androhen würden oder Dritte "explizit und mit großer Wahrscheinlichkeit veranlassen würden, direkte ungesetzliche Aktivitäten" zu ergreifen. Dies sei aber nicht der Fall.

Die Website "Nuremberg Files" hatte Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, im Stile von Wildwest-Plakaten als "Baby-Schlächter" bezeichnet und zur Fahndung ausgeschrieben. Zudem wurden die Adressen dieser Ärzte und der Schwangeren-Beratungsorganisation veröffentlicht und diese zugleich "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" schuldig gesprochen.

Die Website-Betreiber appellieren zudem an die User, sie beim Sammeln umfangreicher Daten über Personen zu unterstützen, die direkt oder indirekt mit Schwangerschaftsabbrüchen in Verbindung zu bringen sind. Über diese "Kinder-Mörder" wollen die Website-Betreiber alles wissen: Deren Namen und Anschriften, Telefonnummern, Geburtsdaten und -orte, Autokennzeichen, Sozialversicherungsnummern, Eintragungen in die Verkehrssünderkartei einschließlich Fingerabdruck-Karten, Freizeitaktivitäten, etwaige Scheidungsdaten, sowie sämtliche Personendaten aller Verwandten und Freunde – das alles möglichst unterfüttert von Fotos oder Videoaufnahmen.

In der auf der Website veröffentlichten langen Personenliste kann man teilweise ausführliche Dossiers zu den einzelnen Ärzten, Politikern, Richtern und anderen Angefeindeten abrufen, gemischt mit Artikeln über Todesdrohungen und "fictional attacks". Die Darstellung in Wildwest-Manier wurde aber inzwischen offenbar aufgegeben ("censored site").

Seit 1998 kam es in den USA zu einer Reihe von Gewaltakten gegen einige der "zur Fahndung ausgeschriebenen" Ärzte, die im Oktober 1999 in der Ermordung von Dr. Barnett Slepian vor dessen Haus in Buffalo durch einen Heckenschützen gipfelten. Noch am selben Tag sei der Name von Dr. Slepian auf der "Nuremberg File"-Homepage durchgestrichen erschienen, berichtet die Nachrichtenagentur ap.

Die gestrige Entscheidung der Berufungsinstanz hebt das Urteil eines Gerichts in Oregon, Portland, von vor zwei Jahren auf, das zwölf Abtreibungsgegner wegen der Aufforderung zur Gewalt gegen die "Planned Parenthood"-Organisation und vier Ärzte zu Schadenersatzzahlungen in Höhe von 109 Millionen US-Dollar verurteilt hatte.

Zur Begründung der aufhebenden Berufungsentscheidung führte die dreiköpfige Jury an, die "Nuremberg Files"-Website sei eher als eine Auflistung von Adressen zu verstehen und stelle keine direkte Aufforderung zur Gewalt dar. Somit habe hier das Recht auf freie Meinungsäußerung oberste Priorität, und dies auch dann, wenn sich "unbeteiligte Terroristen" durch die Website zu Straftaten animiert gefühlt hätten.

Seit der erstinstanzlichen Entscheidung hatte es im Dunstkreis der Anti-Abtreibungs-Website einige Weiterungen gegeben: So hatte der damalige Website-Provider MindSpring (inzwischen fusioniert mit EarthLink) die Site auf Grund inhaltlicher Bedenken (unter anderem wegen der Darstellung abgetriebener Föten) abgeschaltet und war deshalb vom Website-Eigner Neal Horsley auf 251 Millionen US-Dollar Schadenersatz verklagt worden. Zwischenzeitlich stellte dann die holländische Scientology-Gegnerin Karin Spaink die "Nuremberg Files"-Website gespiegelt ins Netz, später erschien sie wieder unter ihrem jetzigen Namen bei einem neuen Provider und ist heute weiterhin online.

Eine neue Herausforderung sieht Website-Betreiber Horsley jetzt in dem Medikament RU 486, das zum pharmakologischen Schwangerschaftsabbruch eingesetzt wird. Auf Grund seiner unspektakulären und diskreten Wirkungsweise kann gegen dieses Präparat wesentlich weniger reißerisch und publikumswirksam aufgehetzt werden. Künftig sollen daher auch Ärzte, die RU 486 verschreiben, auf seiner Website am Pranger stehen.

Um die multimedialen Effekte seiner Website zu erweitern, fordert Horsley in seiner bislang letzten Aktion die User dazu auf, Kliniken oder Arztpraxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, mit privaten Webcams zu beobachten und die Bilder der ein- und ausgehenden Menschen ins Internet zu stellen. Horsley plant zudem, die Gefilmten zu katalogisieren, da diese "hinausgehen, um Gottes kleine Babys zu töten."

Fürsorglicherweise warnt der 57-jährige allerdings mögliche Webcam-Aktivisten vor den Kosten dieser Aktion, die aber in keinem Verhältnis zum Nutzen im Kampf gegen den Satan stünden: "Caution! Count the cost. Satan hates the live web cam project because it actually has the power to interfere with the delivery of his daily diet of slaughtered babies. Satan gets very angry when his favorite food (sacrificed human babies) fails to be delivered. Come to think about it, delete the "Caution" idea."

Im Zuge des Machtwechsels im Weißen Haus können sich die Abtreibungsgegner künftig der politischen Unterstützung der Konservativen sicher sein. So berief der neue US-Präsident George W. Bush kürzlich den Gouverneur von Wisconsin, Tommy Thompson, zum Gesundheitsminister. Dieser hatte landesweit Schlagzeilen gemacht, als er in seinem Heimatstaat kurzerhand die Sozialhilfe streichen ließ. Thompson ist als entschiedener Abtreibungsgegner bekannt und wurde vom "National Right to Life Committee" dafür gelobt, dass er "zahlreiche Gesetze für das Leben verabschiedet" habe. Die Befürworter liberalerer Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch kritisierten Thompson hingegen als "einen der schärfsten Gegner des Rechts für Frauen auf Entscheidungsfreiheit".

Siehe dazu auch: Einschüchterung gehört zur politischen Kultur in Telepolis. (klp)