Notes/Domino: Neues Leben für die Kollaborationsplattform

Domino ist eines der ältesten Softwareprodukte: als Lotus Notes geboren, immer wieder für tot erklärt. HCL will für eine dringend nötige Auffrischung sorgen.

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Wie HCL Domino wieder neues Leben einhauchen will
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Inhaltsverzeichnis

Fünf Jahre hat IBM Domino am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Das letzte Major Release "9.0 Social Edition" ist vom März 2013. Ihm folgte ein Maintenance Release 9.0.1 im Oktober desselben Jahres. Danach gab es nur noch geringfügige Updates, die sich in Feature Packs und Interim Fixes gliedern. So kommen dann Versionsnummern wie "9.0.1 Feature Pack 10 Interim Fix 1" zustande. Kosteneinsparungen und Entlassungen führten zum Stillstand.

IBM sprach nur noch über vier Themen: Blockchain, Künstliche Intelligenz (Watson), Cloud und Security. Software kommt in diesem Portfolio nicht mehr vor. Dann kam der Verkauf von Entwicklung und Support für Domino an das indische Service-Unternehmen HCL, die sich ein eigenes Enterprise-Softwaregeschäft aufbauen und bereits mehrere IBM-Produkte übernommen hatten, etwa Informix oder das Rational-Portfolio. Ausgerechnet HCL bringt auf einmal wieder Leben in die Bude, weil das Unternehmen auf Wachstum setzt.

Über 300 Entwickler und Spezialisten wechselten von IBM zu HCL und das Unternehmen stellt neue Mitarbeiter ein. Als CTO gewann HCL Jason Gary, einen Entwickler, der in der Vergangenheit häufig vom IBM-Management ausgebremst wurde und darauf brennt, zu zeigen, was er wirklich leisten kann.

Als General Manager und Vice President Collaborative Workflow Platforms stellte HCL den unbelasteten Richard Jefts ein, der vor wenigen Jahren von Cisco zu IBM gewechselt war und zuvor bei Colt, Avid, and Oak tätig war. Heise online sprach am Rande der 45. DNUG-Konferenz in Darmstadt mit Jefts und Gary, sowie dem IBM Offering-Manager Andrew Manby und Uffe Sorensen, weltweit für den Verkauf verantwortlich. HCL verantwortet Entwicklung und Support, IBM Marketing und Vertrieb. Das Produktmanagement ist ein gemeinsames Unterfangen.

Richard Jefts, General Manager und Vice President Collaborative Workflow Platforms bei HCL

(Bild: Volker Weber )

Jefts stellt sich den Problemen. Und er kennt die Stärken. Auch wenn viele Kunden auf andere Mailplattformen gewechselt sind, tun sie sich schwer, Domino-Anwendungen auf andere Plattformen zu migrieren. Domino bietet einen kompletten Stack, den man sich woanders erst einmal neu zusammenstellen muss. Auf der anderen Seite wird Domino bereits seit Jahren als tot angesehen; dagegen helfen keine Roadmaps.

Wichtig ist Jefts deshalb, wieder neue Software zu liefern. Im Herbst soll es eine neue Version 10 von Domino kommen, nächstes Jahr bereits Version 11. Gary stellt die Entwicklung auf zehnmonatige Zyklen ein, so dass ein neues Release in weniger als einem Jahr entstehen kann. In Version 10 übernimmt HCL Features aus der Cloud-Version von Domino in die Kaufversion, die man im eigenen Rechenzentrum betreibt.

IBM versuchte stets den Eindruck zu erwecken, Cloud und "On Premises" sei das gleiche Produkt, dabei war die gemeinsame Code-Basis eher klein. Domino wird in Docker-Containern laufen, sodass die Software leicht aktualisiert und in verschiedensten Umgebungen im Unternehmen oder in der Cloud betrieben werden kann. Jefts sieht das Pendel wieder zurückschwingen von Cloud auf "On Premises". In einigen Märkten, darunter auch Deutschland, gibt es große Vorbehalte gegen öffentliche Clouds. Für Version 10 hat HCL einen iPad-Client vorgestellt, der klassische Notes-Anwendungen mobil macht. Das ist Software, die schon seit Jahren innerhalb der IBM herumgeisterte, aber nie zum Produkt gemacht wurde.

Erst wenn HCL mit der neuen Version den Beweis angetreten ist, dass es mit Domino tatsächlich wieder vorangeht, geht es ans Eingemachte. Gary will Domino nicht nur in Containern laufen lassen, sondern in mehrere Container zerschlagen, so dass sich einzelne Teile als Open Source ausgliedern und andere Teile einfach hinzufügen lassen. Dann gilt es, die Entwicklungstools für Anwendungen wieder so aufzudröseln und zu modernisieren, dass sich Apps wieder von Anwendern entwickeln lassen – eine alte Stärke waren stets einfach Anwendungen aus Formularen und Tabellen. Dort will HCL wieder hin, nur mit modernen Lösungen. Der aktuelle Domino Designer ist so überfrachtet, dass er selbst erfahrenen Entwicklern kaum noch zuzumuten ist. In Zukunft soll Domino um Node.js erweitert werden, sodass Javascript-Anwendungen auf der Basis von Domino laufen können.

HCL priorisiert die Kundenanforderungen mit Hilfe von sogenannten #domino2025 Jams. Während in der Vergangenheit Notes und Domino durch ganz spezielle Anforderungen weniger Großkunden mit entsprechendem Druck auf die Verkäufer durchgedrückt wurden, hört sich HCL zunächst einmal alle Kunden an, um dann neue Features zu priorisieren. Die erste Runde dieser Jams fand Ende letzten Jahres statt, die nächste folgt in diesem Herbst.

Nur an den Notes-Client traut sich aktuell noch niemand ran. Die Hoffnung scheint, dass sich dieser ohnehin erledigt. Es ist ausgesprochen schwierig, dieses Feature-Monster wieder abzuspecken. Aktuell geht die Entwicklung in Richtung von modernen Web-Anwendungen, die sich über Electron von den Launen der Browser-Hersteller befreien lassen. Statt immer wieder neue Browser-Versionen zu testen und zu unterstützen, wird die gesamte Anwendung samt Chromium-Framework verpackt. Gary spekulierte aber auch bereits über progressive Webapps, die klassische Notes-Anwendungen ausführen können.

Egal mit wem man bei HCLs Collaboration-Truppe spricht, alle sind enthusiastisch und sehen sich von ihren IBM-Fesseln befreit. Sie sind hungrig auf Erfolg und wollen ihr Produkt wieder flott machen. Das ist zwar ansteckend, aber am Ende müssen sie vor allem den Kunden überzeugen, der das alles bezahlt. 18.000 Kunden mit 50 Millionen Benutzern zählt Jefts; das ist immer noch ein Business, dass Hunderte von Millionen einnimmt. Erst wenn sich diese Umsätze stabilisieren lassen, kommt der eigentliche Test: Wenn Kunden wieder neue Anwendungen mit Domino schreiben, ist der Turnaround geschafft. (vowe)