Lecker Strom: Mikroorganismen als Elektronenatmer und Elektronenfresser

Einige Mikroorganismen ernähren sich von Strom oder verwandeln Rohstoffe in Elektrizität. Das wollen sich Forscher zunutze machen.

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Lecker Strom

Das Bakterium Shewanella oneidensis (hier eine Illustration) treibt bei Nahrungsmangel seinen Stoffwechsel mit Elektronen an.

(Bild: Science Photo Library / Ella Maru Studio)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nike Heinen
Inhaltsverzeichnis

Bald könnten Mikroorganismen die Kraftwerke der ganzen Menschheit sein. Denn einige von ihnen gehen so selbstverständlich mit Strom um wie unsereins mit Atemluft und Brötchen. Mal erzeugen die stäbchenförmigen Einzeller bei ihrem Stoffwechsel Strom, atmen ihn also ab wie Menschen das Kohlendioxid. Mal fressen sie ihn buchstäblich und machen daraus energiereiche Moleküle, berichtet Technology Review in seiner Juli-Ausgabe, die jetzt im gut sortierten Zeitschriftenhandel sowie online erhältlich ist.

"Von den Elektronenatmern wissen wir erst seit etwa einem Jahrzehnt, die Elektronenfresser sind sogar erst seit wenigen Jahren bekannt", sagt Alfred Spormann, Umweltmikrobiologe an der Stanford University in Kalifornien. Spormann gehört zu den Pionieren eines ganz neuen Forschungsfeldes: der Elektromikrobiologie. Er hat viele dieser Phänomene selbst entdeckt, versucht jetzt zu verstehen, welches molekulare Rüstzeug diese Mikroorganismen zu solchen Stromjongleuren macht – und wie sie sich für ein sauberes Energiesystem nutzen lassen.

Im molekularen Maßstab betrachtet, besteht Strom aus wandernden Elektronen. Solche Elektronenströme sind – so erstaunlich es zunächst klingt – der Motor des Lebens: Mit ihnen erzeugen alle lebenden Zellen in ihrem Inneren Energie. Dabei werden mehrere elektronenaffine Moleküle hintereinandergeschaltet. Bei jedem Sprung eines Elektrons von Molekül zu Molekül wird Energie frei. Zellen von Pflanzen und Tieren lösen zum Beispiel zur Energiegewinnung Elektronen aus Zuckermolekülen heraus und reichen sie über so eine Elektronentransportkette an Sauerstoff weiter.

Bis vor Kurzem hielt man es für unmöglich, dass Organismen diese Elektronen auch mit ihrer Umgebung austauschen. Genau das aber können jene Mikroorganismen, für die sich die Elektromikrobiologie interessiert. Dazu besitzen sie zum Beispiel sogenannte Nanowires. Diese Kabel im Miniformat bestehen aus Zellmembranen, die dicht mit Elektronentransport-Proteinen besetzt sind. Entlang der Membran werden die negativ geladenen Elektronen weitergereicht, bis sie auf positiv geladenen Metall-Ionen im umgebenden Gestein landen.

Alle bisher bekannten Elektromikroben stammen aus den ersten Tagen des Lebens. Damals gab es in der Erdatmosphäre noch keinen Sauerstoff als allzeit bereiten Elektronenabnehmer. Also mussten sich die ersten Lebewesen etwas anderes einfallen lassen. So wie Shewanella oneidensis: Die Mikroorganismen leben heute im Meeresboden, wo, je nach Lage – zu viel Fischkot, zu wenig Licht – die Sauerstoffversorgung ganz ausbleiben kann. Dann schlägt es den guten alten Weg ein, um seine energetisch ausgebeuteten Elektronen loszuwerden. Über seine leitenden Membranfortsätze nutzt es die eisenreichen Sedimente der Umgebung als Ablageplatz.

TR 07/2018

Technology Review Juli 2018

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 07/2018 der Technology Review. Das Heft ist ab 21.06.2018 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Dieser Mechanismus lässt sich so manipulieren, dass eine völlig neuartige Quelle für Elektrizität entsteht: Man muss den Mikroorganismen lediglich mit einer appetitlichen Portion Ladung an die Anode eines Stromkreises locken, mit ausreichend organischem Material füttern – schon lässt der Einzeller reichlich Strom fließen. Mögliche Anwendungen gibt es viele: Unter anderem arbeiten Forscher an Mikroorganismenbatterien und an Lösungen, um aus menschlichen Abwässern Strom zu gewinnen. Chinesische Umwelttechnologen aus Hefei versuchen beispielsweise, die Einzeller gentechnisch so zu verändern, dass sie zwei verschiedene Sorten von Elektronentunneln nebeneinander tragen. So wollen sie die elektrische Ausbeute dieser "Microbial Fuel Cells" steigern. Denn noch sind sie nicht besonders effektiv. Im Labor funktioniert die Idee schon mit Milchsäure als Mikroorganismenfutter – der Praxistest in der Kläranlage steht noch aus.

Auch der umgekehrte Weg ist denkbar: Strom in wertvolle Rohstoffe zu verwandeln. Einen besonders vielversprechenden Weg dorthin hat Spormann gerade bei Mikroorganismen der Art Methanococcus maripaludis entdeckt. Sie leben tief im Boden feuchten Marschlandes, und bisher glaubte man, dass sie sich dort nur von Kohlendioxid und Wasserstoff ernähren. Offenbar können sie aber auch direkt Elektronen aufnehmen, um selbst Wasserstoff zu machen. Zentral dafür ist ein bisher unbekannter Proteinkomplex, der wie ein Trinkhalm für Elektronen funktioniert. Mithilfe des aufgesogenen Stroms und CO2 produziert Methanococcus schließlich Methan, Erdgas also. "Wir haben bereits viele Anfragen von Energieunternehmen", freut sich der Forscher.

Die Mikroorganismen könnten ein zentrales Problem der Energiewende lösen: Sonnenkollektoren und Windräder sammeln oft viel mehr Strom, als sie ad hoc in die Netze geben können. Millionen Euro gehen einfach verloren, zusätzlich belastet die extrem schwankende Stromerzeugung die Netze. Schon lange wird deswegen nach einer wirtschaftlichen Möglichkeit gesucht, den Strom zu speichern. Diese Mikroorganismen "tun genau das", sagt Spormann. "Und zwar ohne den Energieverlust, den man beim Betreiben von Biogasanlagen oder die elektrochemische Wasserstoffsynthese für ähnliche Systeme hinnehmen muss." Die Ausbeute, mit der die eingespeisten Elektronen zu Methan reagieren, liegt bei über 90 Prozent. Es gibt zwar bereits ein Unternehmen, das so eine mikroorganismenbasierte Stromspeicherung anwendet. Doch die Mikroorganismen von Electrochaea in München können nicht direkt mit Elektronen gefüttert werden. Sie benötigen Wasserstoff – der erst einmal mit Solarstrom aus Wasser hergestellt werden muss. Dabei geht Energie verloren, das Unternehmen gibt seinen Wirkungsgrad mit 58 Prozent an. "Für mich sieht unser integriertes System nach der Zukunft aus", sagt daher Spormann selbstbewusst. (inwu)