Zahlen, bitte! 3686, oder: von konjunkturellen Hochs und Tiefs

Der 4. Juli mag der Nationalfeiertag der USA sein, doch der dritte Juli ist der Geburtstag eines anderen ur-amerikanischen Produktes: der erste Aktienindex.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen
Zahlen, bitte! 95 Bit in einem Strichcode
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

3686 ist keine besondere Zahl und steht auch nicht für eine Seitenlinie bei den Prozessoren von Intel, sondern für die Bewertungspunkte des ältesten Aktienindex der Welt. Mit 3686 Punkten hatte der Dow Jones im Jahre 1999 eine Rekordmarke erreicht, ehe die Dotcom-Blase platzte. Eine Talfahrt setzte ein, die selbst den heute Dow Jones Transportation Average genannten Index erfasste. Er fiel um 47,3 Prozent auf 1942,19 Punkte.

Nun steht der älteste Index wieder gut da: der Dow Jones Transportation Average vermeldet ein Hoch von 10420 Punkten. Während in Deutschland der DAX bereits mit dreißig Jahren als Oldie gefeiert wird, darf man mit dem Dow Jones über diesen "Oldie" lächeln.

Die Vorgeschichte: Im Jahre 1882 verließen die Journalisten Charles Dow, Eduard Jones und Charles Bergstresser die Kiernan News Agency. Diese hatte ab 1870 die journalistische Form namens "Newsticker" etabliert: Aus den über Telegraphen abgewickelten Geschäftsabschlüssen wurden knappe Finanznachrichten destilliert. Die drei Journalisten wollten andere Wege gehen als trockene Berichte und Verlautbarungen der Kurszettel abzuschreiben.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Dow Jones & Company, wie die neue, vom vermögenden Bergstresser finanzierte Firma genannt wurde, etablierte mit dem "Customers' Afternoon Letter" eine neue Finanzzeitung, die auf zwei Seiten täglich die Zusammenfassung des Wirtschaftslebens erzählen wollte. Sie hatte bald 1000 Abonnenten in New York. 1889 wurde der Nachmittagsbrief in "Wall Street Journal" umbenannt und beschäftigte bereits 50 Journalisten.

Im Afternoon Letter vom 3. Juli 1884 wurde erstmals der damals noch einfach Dow Jones Average genannte Index veröffentlicht. Neun Eisenbahn-Gesellschaften, eine Reederei und der Geldtransfer-Spezialist Western Union bildeten den Grundstock des ersten Aktienindexes. Ein imaginärer Anleger hatte von all diesen Firmen eine einzige Aktie gekauft. Er misst fortan mit dem Index, wie sich sein Portfolio entwickelt.

Die Idee hinter dem Index: Die wirtschaftliche Lage der USA lässt sich dort am besten mit langfristigen öffenltichen Firmenmeldungen messen, in den Gebieten, in denen Rohstoffe und Agrarprodukte zu den Fabriken und schließlich Waren zu den Kunden transport werden und Geldströme fließen. Die Idee selbst war nicht neu und wurde bereits von Journalisten des Wolffschen Telegrapischen Bureaus diskutiert, doch Bismarcks Pressegesetze verboten die Veröffentlichung von solchen "Metainformationen". Der erste deutsche Index startete erst in den 20er Jahren.

Bis zum Jahre 1896, als die ersten großen Industriekonglomerate entstanden, erfüllte der Index perfekt seinen Zweck als Melder der allgemeinen Trend-Entwicklung. Dann kam aber der Dow Jones Industrial Average hinzu, mit Firmen wie der General Electric von Thomas Alva Edison, American Tobacco und Chicago Gas, die den Ton der Industrie angaben. Wenig später kamen Öl- und Autofirmen in den Index.

Der alte Index wurde in Dow Jones Railroad Average umbenannt. Heute firmiert der älteste Aktienindex als Dow Jones Transportation Average – Eisenbahnen spielen in der Logistik keine gr0ße Rolle mehr. Aus der Beobachtung beider Indices als Tandem formulierte Charles Dow eine Bewegung der Wirtschaftsmärkte, die unglücklicherweise Dow Theory genannt wurde, aber niemals von Dow als Theorie geschweige denn als "Wirtschaftsgesetz" gedacht war. Die Kurzfassung: Langfristige Trends können nur dann entstehen, wenn beide Indices in gleicher Richtung ausschlagen.

2008 ging's auch mit dem Dow Jones Transportation Average, wie der älteste Aktien-Index der Welt heute heißt, ganz schön bergab

Nach dem Platzen der Dotcom-Blase erreichte der Transportation Average in der Finanzkrise von 2008/2009 mit 2146,89 Punkten einen weiteren historischen Tiefstand. Diese Krise wurde von der Immobilienkrise in den USA ausgelöst, die im Jahre 2007 sichtbar wurde. Seit diesem Einbruch gibt es Kritik an den verschiedenen Indices von Dow Jones, vor allem, was die Auswahl der Firmen anbelangt. Sie wird seit 1896 vom Chefredakteur des Wall Street Journals und einer kleinen Beratergruppe ohne vorherige Ankündigung vorgenommen.

Ein zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf die passiven Anleger, die in Indexfonds investieren, die sich ausschließlich an den Bewegungen etwa des Transportation Average orientieren: Bei den Exchange Trade Fonds (ETF) genannten passiven Anlegemöglichkeiten werden für das Portfolio nur so viele Aktien von den Unternehmen gekauft, wie gerade deren Gewichtung im jeweiligen Index ist. Es erfolgt also keine aktive Gewichtung nach Kriterien, ob ein Unternehmen Erfolg hat, mit neuen Produkten auf den Markt kommt oder ob es nach Management-Fehlern in Schieflage ist.

Als deutsches Beispiel sei iShares von BlackRock genannt, ein Fond, der sich ausschließlich an den Bewegungen des Geburtstagskindes DAX orientiert. Ein Investment, das sich nicht an Erfolg oder Misserfolg orientiert, sei ganz und gar nicht im Sinne der Erfinder Dow, Jones und Bergstresser, sagen die Kritiker. Es sei sogar schlimmer als der Marxismus, weil in der Planwirtschaft immerhin versucht werde, die Produktion zu optimieren. (jk)